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298 Mario Döberl
sem Berufsfeld stark vertreten waren, zugunsten einheimischer Sesselträger zu verdrängen.
Zweitens wurde verschiedenen Personengruppen die Benutzung von Tragsesseln explizit
verboten. Auf Wunsch Rauchmüllers waren Kranke von der Inanspruchnahme dieser
Dienstleistung ausgenommen, wahrscheinlich aus Sorge, gesunde Kunden zu verlieren, die
Angst hatten, in einem öffentlichen Tragsessel mit einer gefährlichen Krankheit angesteckt
zu werden. Weiterhin war es Lakaien und ähnlichen livrierten Dienern verwehrt, Trag-
sessel zu mieten, wobei einzig für Edelknaben (Pagen) eine Ausnahme gemacht wurde.
Mit dieser einschränkenden Regelung sollte die Befugnis, Tragsessel zu benutzen, wohl als
Privileg der oberen sozialen Schichten gewahrt bleiben. Als Ausdruck der antijudaistischen
Stimmung, die auch nach der Vertreibung der Juden aus Wien im Jahr 1670 weiterhin in
der Stadt herrschte, ist wohl die Tatsache zu werten, dass auch Juden explizit von der Be-
nutzung der Miettragsessel ausgeschlossen waren. Drittens wurden Tarifobergrenzen fest-
gelegt, damit Rauchmüller seine Monopolstellung nicht ungebührend ausnutzen konnte.
Interessanterweise handelte es sich dabei um Einheitstarife, die unabhängig von der zu-
rückgelegten Strecke, dem Wetter und der Uhrzeit waren. Für jeden zurückgelegten Weg,
wie weit dieser auch immer sein sollte, durften nicht mehr 14 Kreuzer verlangt werden.
Der Aktionsradius ging dabei über die Stadttore hinaus und reichte bis in die Vorstädte.
Wollte man den Tragsessel auch gleich für den Rückweg reservieren, musste die dabei für
die Sesselträger anfallende Wartezeit mit einem Zuschlag von 6 Kreuzer pro Stunde ab-
gegolten werden. Zusätzlich gab es kostengünstigere Zeittarife, die unabhängig von der
Zahl der Wegstrecken und eventuell auftretender Wartezeiten waren. So konnten etwa
Tragsessel für sechs oder zwölf Stunden gemietet werden, was 45 Kreuzer beziehungsweise
1 Gulden und 30 Kreuzer kostete. Allen Tarifen war gemeinsam, dass sie im Voraus be-
glichen werden mussten und nur unterschritten, nicht aber überschritten werden durften.
Analog zu einer damals bereits geltenden Regelung für Mietkutschen354 wurden auch
für Tragsessel Abgaben festgelegt, die direkt an das Armenhaus vor dem Schottentor flie-
ßen sollten. Rauchmüller musste für jeden Tragsessel, den er einsetzte, einen Betrag von
monatlich 1 Gulden 30 Kreuzer bezahlen. Damit ihm während der Aufbauphase seines
Gewerbes, in der größere Investitionen zu tätigen waren, keine allzu schweren finanziellen
Bürden entstanden, wurde dieser Betrag für die ersten vier Jahre auf 1 Gulden pro Trag-
sessel und Monat gesenkt.
354 Mit 2. Dezember 1697 legte Kaiser Leopold I. Abgaben in der Höhe von 3 Gulden pro Monat
auf „Lehen-Wägen / Schese / und Kalessen“ fest, die in Wien und Umgebung im Einsatz waren.
Das so eingenommene Geld sollte dem Armenhaus vor dem Schottentor zugutekommen. Codex
Austriacus (Wien 1704), Teil 1, S. 114. Mit großer Wahrscheinlichkeit war mit der Bezeichnung
„Chaise“ ein Wagentyp und nicht ein Tragsessel gemeint.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918