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Tragsessel am Münchner Hof 325
Hofzahlamts-Rechnungen explizit Schlosserarbeiten an einem nicht weiter bezeichneten
Tragsessel für Kurfürstin Maria Anna genannt, für die 4 fl. 44 kr. bezahlt wurden.27 Ob
es sich dabei um eine Reparatur, vielleicht an dem Wiener Tragsessel, handelte oder um
Arbeiten für eine Neuanfertigung, geht aus dieser Quelle nicht hervor.
Aus diesen Archivalien kann man jedoch schließen, dass Kurfürstin Maria Anna den
ersten Tragsessel aus Wien mitbrachte und den Gebrauch des Tragsessels am Münchner
Hof einführte. Sie schien sich zeitlebens gerne des Tragsessels bedient zu haben. So berich-
tete der Augsburger Patrizier Philipp Hainhofer von seiner Reise nach München, die er im
Juni 1636 „in Frstl. Braunschweigischen Geschäfften“ unternahm:
Nachmittag vmb 3 Vhren bin ich für die Statt München khommen vnnd Ich von der guar-
dia und den Thorrschreibern verstanden, dass Ihre Churfürstl. Dhlt. mit dero hertzliebsten
Churfrstl. Frawen Gemahlin animi gratia in Circa mit 200 Pferdten zue gutschen, vnnd
die Churfürstin wegen schwangern leibs im Sessel getragen, nach Starenberg 3 meil von
München spatziert seyen […].28
Hainhofer reiste dem Kurfürstenpaar nach und erfuhr bei seiner Ankunft am nächsten
Tag in Starnberg vom eigentlichen Grund der Reise, einer Wallfahrt auf den „Heiligen
Berg Andechs“.29 Leider enthält sein Reisebericht keine genauere Beschreibung des Trag-
sessels. Der Leser erfährt lediglich, dass es sich um einen „Bedeckhten Sessel“ handelte, wie
ihn Hainhofer selbst im Jahr 1596 in Neapel benutzt hatte. Nebenbei berichtet Hainhofer
auch, dass er so einen Tragsessel 1628 am Innsbrucker Hof von Erzherzog Leopold und
dessen Florentiner Gemahlin gesehen hatte.30 Leider beschreibt er keine weiteren Details
zur Ausstattung, berichtet jedoch, dass der Tragsessel „durch 2 Laggaien, deren Ihro Dhlt.
10, Alss 6 Deutsche vnnd 4 Italiener in die Bayerische livream gleich geklaidet haben“, ge-
tragen wurde.31 Weiter erzählt er über das Prozedere des Sesseltragens:
27 Vgl. Wackernagel 2002 (wie Anm. 1), Bd. 2, S. 99, Anm. 24: BHStA, HZR 88, 1638, fol. 503v.
28 Philipp Hainhofer, Relatio Philippi Hainhoferi Seiner von Augspurg nacher München in Frstl.
Braunschweigischen Geschäfften Verrichteten Rayse. Anno 1636. Nach der Edition von Christian
Häutle (Hg.), Hainhofers Reisen nach München und Neuburg a/D. in den Jahren 1613, 1614 und
1636. In: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 8 (1881), S. 268–314,
hier S. 273. – Eine Meile bezeichnete um diese Zeit in Bayern rund 7,4 Kilometer. Drei Meilen
entsprechen also 22,2 Kilometer. Damit hatte Hainhofer den Weg nach Starnberg etwas zu kurz
eingeschätzt, denn es sind 26 Kilometer.
29 Andechs liegt zwischen Starnberg und dem Ammersee. Das Kurfürstenpaar unternahm die Wall-
fahrt, um für eine glückliche Geburt des Kurprinzen zu bitten. Am 31. Oktober 1636 wurde Ferdi-
nand Maria geboren.
30 Hainhofer 1636 (wie Anm. 28), S. 279 f. – Erzherzog Leopold hatte 1626 Claudia, eine Tochter
des Großherzogs Ferdinand I. von Florenz, geheiratet.
31 Hainhofer 1636 (wie Anm. 28), S. 280.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918