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Tragsessel am Münchner Hof 329
Kurfürstinwitwe Maria Anna, die einst den ersten Tragsessel aus Wien nach München
brachte, schien sich gerade im Alter gerne des Tragsessels bedient zu haben. So besuchte
der Münchner Hof in der Karwoche des Jahres 1661 die Kranken- und Waisenhäuser in
der Stadt, wobei der regierende Kurfürst Ferdinand Maria und seine Gemahlin Kurfürs-
tin Henriette Adelaide mit dem Bruder des Kurfürsten, Herzog Maximilian Philipp, zu
Fuß gingen. Die verwitwete Kurfürstin Maria Anna ließ sich jedoch tragen: „Die wittibte
Churfürstin hat sich trag lassen […]“.44 Die Quelle nennt keine weiteren Details, doch
kann man wohl davon ausgehen, dass sie sich in einem Tragsessel tragen ließ, da sich die
Wege innerhalb der Stadt München befanden und Sänften eher für weitere Strecken ver-
wendet wurden. Am Karfreitag desselben Jahres besuchte der Hof die heiligen Gräber an
dreizehn verschiedenen Stellen in der Stadt. Während die Fürsten alle zu Fuß gingen und
die Kutschen leer hinterher fuhren, ließ sich die verwitwete Kurfürstin wieder tragen.45
Ausschlaggebend dafür waren sowohl repräsentative als auch vermutlich gesundheitliche
Gründe der bereits einundfünfzigjährigen Kurfürstinwitwe. Denn Federico Marchese Pal-
lavicino notierte gut ein Jahr später anlässlich seiner Reise nach München im Kontext der
Taufe von Max Emanuel in seinem Tagebuch, dass die Kurfürstinwitwe am 19. September
1662 „era in cadrèga, si faceva portare havendo male al piede“.46 Maria Anna ließ sich also im
Tragsessel tragen, da sie fußkrank war.
2 5 Der „Turinische Tragsessel“ im Kontext der Taufe von Kurprinz Max Emanuel, 1662
Federico Marchese Pallavicino reiste als Gesandter des Herzogs von Parma und Piacenza,
Ranuccio II. Farnese, im September 1662 nach München, um dem regierenden Kurfürs-
tenpaar Glückwünsche zur Geburt des lang ersehnten Thronfolgers Max Emanuel zu
überbringen.47 Aufgrund der dynastischen Beziehungen zwischen dem Kurfürstentum
Bayern und dem Herzogtum Savoyen erhielt Pallavicino Zugang zum unmittelbaren
Umfeld von Kurfürstin Henriette Adelaide,48 die ihm auch mehrfach Audienz gewährte.
44 StadtA, Historischer Verein von Oberbayern, Manuskripte Nr. 225, fol. 45v.
45 StadtA, Historischer Verein von Oberbayern, Manuskripte Nr. 225, fol. 46.
46 Susan Tipton (Hg.), Diario del March.e Federico Pallavicino, Inviato Ducale a Monaco 1662
Sett.e–Ottobre. Tagebuch des Federico Pallavicino, Gesandter des Herzogs von Parma in Mün-
chen, im September und Oktober 1662, S. 30. Zitiert wird die Online-Version von 2010: https://
doi.org/10.11588/artdok.00001220 (letzter Zugriff: 19.07.2019).
47 Vgl. Tipton 2010 (wie Anm. 46), S. 4: Federico Pallavicino stammte aus der lombardischen Linie
der Pallavicino Marchesi di Zibello und war ein entfernter Verwandter von Ranuccio Pallavicino, der
1667 „I trionfi dell’architettura“ verfasste, die erste gedruckte Beschreibung der Münchner Residenz.
48 Ihre ältere Schwester Violanta Margherita von Savoyen war aufgrund ihrer Hochzeit mit Ranuc-
cio II. Farnese Herzogin von Parma.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918