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Tragsessel am Münchner Hof 331
Am darauf folgenden Tag erwartete man den Fürsterzbischof von Salzburg, Guidobald
Graf von Thun und Hohenstein, der den kleinen Max Emanuel taufen sollte.53 Am frü-
hen Nachmittag zogen ihm Kurfürst Ferdinand Maria zusammen mit dem Bischof von
Freising und Herzog Maximilian in Begleitung von dreiundsechzig Kavalieren, alle zu
Pferd, in der gleichen Formation wie am Vortag entgegen. Der Fürsterzbischof wurde von
zwölf Kavalieren, sechsundzwanzig sechsspännigen Kutschen, vier vierspännigen Fahrzeu-
gen und vierundzwanzig gesattelten Pferden mit violetten und roten Satteldecken beglei-
tet.54 Nach der Begrüßungszeremonie, Kurfürst Ferdinand Maria hatte inzwischen wohl
sein Pferd gegen eine Kutsche getauscht, stieg der Fürsterzbischof zum Kurfürsten in den
Wagen, und beide fuhren nun dem Zug voran nach München, wo sie von dreiunddreißig
Kanonensalven empfangen wurden. In der Residenz erwartete sie bereits die Kurfürstin-
witwe auf der obersten Treppenstufe „in sedia scoperta et fatti li loro complimenti“, also in
einem unbedeckten Tragsessel, um sie zu begrüßen.55
Am 21. September traf Marchese Pallavicino den Hofstaat bei der Messe, zu der sich
die Kurfürstinwitwe hereintragen ließ und alle in Logen Platz genommen hatten. Nach
der Messe versammelte man sich im Kaisersaal zum Speisen. Die Taufe war für 16 Uhr an-
gesetzt, und so traf man sich, allerdings mit einer Stunde Verspätung, in der Residenz, um
in Richtung Dom aufzubrechen. Zunächst wurde der Täufling in Begleitung einer Ehren-
dame in einer Kutsche gebracht, die mit karminrotem Samt und Goldbesatz ausgestattet
war.56 Der Festzug formierte sich sodann in folgender Ordnung: Den Kavalieren, die zu
Fuß gingen, folgten der Bischof von Freising und Herzog Maximilian, danach kamen der
Fürsterzbischof von Salzburg, der Herzog von Neuburg und Kurfürst Ferdinand Maria auf
Pferden. Anschließend folgte ein prunkvoller Tragsessel, der mit rotem Samt sowie Gold-
tuch und -borten ausgestattet war. In diesem saß die Obersthofmeisterin der Kurfürstin,
Gräfin Wolkenstein, und hielt den Täufling auf dem Schoß. Begleitet wurde der Tragsessel
von sechs kleinen Pagen, die in weißen Atlas gekleidet waren und kleine Fackeln trugen.
Nach dem Tragsessel folgte eine Kutsche mit ähnlicher Ausstattung, die von sechs schönen
Falben gezogen wurde. In dieser prunkvollen Kutsche saßen Kurfürstin Henriette Adelaide
mit ihrer Tochter, der zweijährigen Prinzessin Maria Anna Christina, und die Herzogin
von Pfalz-Neuburg, Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt.57 Sehr wahrscheinlich han-
53 Guidobald Graf von Thun und Hohenstein (1616–1668) war seit 1654 Fürsterzbischof von Salz-
burg, 1662 ernannte ihn Kaiser Leopold I. zum Prinzipalkommissar auf dem Reichstag in Regens-
burg. 1666 wurde er Bischof in Regensburg und 1667 folgte die Kardinalswürde.
54 Vgl. Tipton 2010 (wie Anm. 46), S. 34: „[…] 24 cavalli da sella con gualrappe violette et rosse […]“
bedeutet „gesattelte Pferde“ und nicht „Pferde mit Sesseln [oder Sänften]“.
55 Ebenda, S. 34, auf S. 90 irrtümlich übersetzt mit „gedeckter Tragsessel“.
56 Ebenda, S. 36: „[…] ch’era portata in caroza di veluto cremesi con oro“.
57 Bary 1980 (wie Anm. 33), S. 155 und Anm. 192 (GHA: Korr. Akt. 645, Produkt Nr. 73). Unwahr-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918