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Tragsessel am Münchner Hof 333
„rollende Sessel“ auch in unwegsamem Jagdgelände beliebt. Der Begriff „Sede rollanda“
würde wortwörtlich übersetzt „Rollstuhl“ bedeuten. Allerdings wäre dieser wohl kaum im
Marstalldepot, sondern in der Residenz aufbewahrt worden. Das Inventar von 1680 nennt
auch einen offenen Tragsessel, der mit blauem Damast ausgestattet war. Dem Eintrag zu-
folge wurde dieser „offene Seza“ einst von der 1676 verstorbenen Kurfürstin Henriette
Adelaide benutzt. Zudem werden ein ähnlicher Tragsessel aus grünem Samt aufgelistet
sowie zwei bedeckte Tragsessel: „Ain gläserne mit griennem Damast ausgemachte Seza“
und „Ain Seza, so inwendig mit grien Tuech gefüettert, ohne Stangen“.64
2 6 Der Tragsessel Maria Antonias im Kontext der Taufe von Max III Joseph, 1727
1685 wurde anlässlich der Hochzeit von Maria Antonia und Max Emanuel der prächtige
Tragsessel angeschafft, der sich heute im Marstallmuseum befindet. Dieser Tragsessel fand
noch 1727 anlässlich der Taufe des Kurprinzen Max III. Josef Verwendung. Im Festbe-
richt zur Taufe, der von den beiden kurfürstlichen Kammerfourieren Philipp Blondeau
und Joseph Anton Cavallo verfasst wurde, wird er im Kontext des Festzuges zur Frauen-
kirche ausführlich gewürdigt: Den Mittelpunkt dieses Zuges bildeten sechs kurfürstliche
Kutschen. In der ersten Prunkkutsche, deren „gantze[s] Zeug […] von rothen Sammat
[war], alles mit gut Silber im Feuer vergoldet beschlagen, […]“ saßen „beyde Churfürstl.
Durchl.“, also Kurfürst Karl Albrecht und Kurfürstin Maria Amalia. Der Beschreibung
nach handelte es sich bei der Kutsche sehr wahrscheinlich um den Brautwagen von Maria
Antonia, den Max Emanuel rund vierzig Jahre vorher bei Saillot in Paris bestellt hatte.
Die Kutsche war außen „mit rothem Sammat überzohen, auf das allerkostbariste gestickt,
innwendig mit reichstem Trap d’Or, goldenen Crepinen und anderen Stickwerck auß-
gemacht“. Neben dieser Kutsche wurde „in einem bedeckt roth sammaten in= und auß-
wendig mit Gold vertrefflichist außgezierten Trag=Sessel getragen Ihro Excellentz die Frau
Ana, welche auf einem reichen Kiß den Durchleuchtigisten Chur=Printzen haltete, so mit
kostbarist=goldenen Decken bedeckt ware.“65 Vermutlich ist mit „Frau Ana“ Maria Anna
von Bayern (1696–1750) gemeint, die älteste Schwester Karl Albrechts und einzige Tochter
64 BSV.Inv0203, fol. 38r.
65 Philipp Blondeau/Joseph Anton Cavallo, Vollständiger Bericht, Von allen Sehens-würdigen
Freuden-Festen, Welche Hochfeyerlich begangen worden In- und nahe der Churfürstl. Haupt-
und Residentz-Stadt München Anno 1727. Vom 28. Mertzen biß den 26. May, als dem Herrn
Carolo Alberto, In Ob- und Nider-Bayrn, […] Herzogen, […] Auß Der […] Frauen, Maria Ama-
lia, Regierenden Chur-Fürstin, […] gebohren worden Ein Durchl. Chur- und Erb-Printz, […].
Faksimile nach der Ausgabe von Joh. Lucas Straub (1727) (München 2000), S. 7.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918