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Französische Tragsessel des späten 17 und frühen 18 Jahrhunderts 363
4 Polsterung, Farben und Verglasung
Bei älteren Tragsesseln bevorzugte man allem Anschein nach eher kostbare und elegante
Textilien als „bizarr“ anmutende Stoffbezüge, wie etwa jenen, mit dem der bereits er-
wähnte in Bordeaux aufbewahrte Tragsessel (Abb. 8) tapeziert ist. Mit einer Kombina-
tion aus Schlangenlinien und vegetabilen, von chinesischen Ornamenten inspirierten
Motiven weist dieser ungewöhnliche Stoff ein eigentümliches, exotisch wirkendes Mus-
ter auf. Trotz manchen Schadens und anderer Spuren der Zeit ist das Wechselspiel aus
Spitze, Früchten und Blumen auf einem Grund aus grünen und cremefarbenen Verti-
kalbändern immer noch gut erkennbar. Während es sich hierbei um ein europäisches
Erzeugnis handelt, ist der Seidenstoff des Tragsessels von Périgueux (Abb. 9) wohl au-
ßereuropäischer Herkunft. Hier heben sich versetzt angeordnete, stilisierte Tulpen in
schwarzer Farbe vor einem goldgemaserten, hellen Grund ab, der zusätzlich von feinen
Rankenornamenten in persischer Manier belebt ist. Offenbar stammt dieser Stoff, der
vermutlich vom – namentlich unbekannten – Auftraggeber bereitgestellt wurde, aus dem
Orient, was den Tragsessel als veritables Luxusobjekt kennzeichnet. Äußerst kostbar war
wohl auch der schon zuvor erwähnte, 1691 nach einem Entwurf von Jean Bérain her-
gestellte Tragsessel der Fürstin von Conti, dessen Kasten mit einer prunkvollen Relief-
stickerei in Gold und Silber auf scharlachrotem Samtgrund bedeckt war.29 Zwar waren
Tragsessel mit prächtigen Stickereien an den Außenwänden nicht sehr verbreitet, den-
noch sind einige außergewöhnlich luxuriöse Exemplare dieser Machart erhalten, etwa
in der Eremitage in St. Petersburg (um 1650)30 oder im Marstallmuseum Nymphenburg
(um 1684/85)31. Bei einem derart kostbaren Kastendekor konnten die Besitzer davon aus-
gehen, dass ihr Vehikel alle Blicke auf sich zog.32 Wem die finanziellen Mittel für solch
29 La Gorce 1986 (wie Anm. 13), S. 54. Es handelte sich hierbei um eine „broderie relevée en bas-relief
d’or sur doré de Paris, enrichie de guipure de trait d’argent et de trait sur doré double avec un fond tout
remply d’or recouvert d’un gros cordon d’or, le tout parfaitement riche“.
30 Inv.-Nr. МБ-413. Siehe dazu Wladimir Tschernyschew, Vom kaiserlichen Marstallmuseum zur
Wagensammlung der Eremitage in St. Petersburg – Kostbarkeiten des 18. und 19. Jahrhunderts.
Geschichte und Bestand einer der weltweit wichtigsten Marstallsammlungen. In: Achse, Rad und
Wagen. Beiträge zur Geschichte der Landfahrzeuge 12 (2004), S. 94–105, hier S. 94 (Abb.) und 101.
31 Vgl. Anm. 12.
32 Im 17. Jahrhundert von Toulouser Meistern für Parlamentarier gebaute Karossen waren fallweise
ebenfalls mit Stickereien versehen: „[…] dont les portières seront doublées de bonne vache de Russie et
de serge en broderie“ (1615), de Beauregard 2001 (wie Anm. 13), S. 887. In seinem gegen Ende des
18. Jahrhunderts erschienenen Werk erinnerte auch Roubo daran, dass Wagen in früheren Zeiten
mit kostbaren Stoffen, Gold und Stickereien ausgestattet waren, allerdings vorrangig innen und
seltener an der Außenseite. Jacques-André Roubo, L’art du menuisier (erstmals Paris 1769–1782),
Bd. 2: La menuiserie des voitures ou des carrosses (Reprint Meylan 1987), S. 463.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918