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Französische Tragsessel des späten 17 und frühen 18 Jahrhunderts 365
des gesamten 18. Jahrhunderts die Farben Rot (um genau zu sein, müsste eigentlich von
Rottönen die Rede sein38) und strahlendes Gelb besonders geschätzt und weit verbreitet
waren. In den Quellen sind jedoch auch Stoffe in Grün (1692), mit gelb-weißen Streifen
(1704)39 oder in „plusieurs couleurs“, wie etwa ein grün-roter Stoff (1698)40, erwähnt. Bei ei-
ner Tapezierung mit Samt oder anderen strapazierfähigen Textilien wurde für das gesamte
Kasteninnere – also für Sitz samt Polster, Seitenwänden, Rücken- und Armlehnen, Tür
und Himmel – meist derselbe Stoff verwendet. Die Vorhänge waren zwar fast immer im
gleichen Farbton gehalten, jedoch aus feinem, leichten Seidentaft oder -damast gefertigt.
Auf diese Weise ließ sich der Eindruck einer chromatischen Einheit erzielen, der jedoch
heute bei vielen Objekten verloren gegangen ist, da häufig die Originaltapezierung durch
andere Textilien ersetzt wurde.
Passanten konnten die Innenausstattung des Kastens durch die Kastenverglasung se-
hen. Meist waren in die Kastenwände drei, seltener fünf Fenster eingelassen. Das Tür-
fenster ließ sich in der Kastenwand versenken, während sich die Fenster der Seitenwände
bei älteren Tragsesseln durch eine horizontale Verschiebung der Gläser öffnen ließen und
bei jüngeren Modellen ebenfalls vertikal versenkt werden konnten. In Frankreich wurden
Fahrzeuge schon sehr früh mit Gläsern versehen. Baron de Bassompierre ließ bereits 1599
eine Kutsche mit Fenstern aus Italien importieren, die sich von den bis dahin üblichen
Wagen mit einfachen Lederverdecken deutlich abhob. Ein Jahrhundert später „il n’est pas
jusqu’à toutes les voitures de remise et la plupart des fiacres, qui par devant ne soient fermés
d’une grande glace“41. Auch Tragsessel wurden mit Glasscheiben ausgestattet, meist mit
gewöhnlichem Glas, zuweilen aber auch mit Spiegelglas, das hinsichtlich Strapazierfä-
higkeit, Regelmäßigkeit und Transparenz eine bessere Qualität aufwies.42 Im Jahr 1665
gründete Colbert die königliche Glasmanufaktur, um auf diesem Sektor mit Italien kon-
kurrieren zu können. Dennoch bezogen viele Wagenbauer und ihre Kunden auch Glas
von anderen der zahlreich vorhandenen Glasmanufakturen des Landes. Der Herzog von
Lothringen errichtete etwa im Jahr 1667, ein Jahr vor seiner Hochzeit mit der Nichte
Ludwigs XIV., ein auf Spiegel- und Wagengläser spezialisiertes Unternehmen, das seine
große Blattwerkmotive und asymmetrische Kompositionen sind dabei nur selten zu finden.
38 In den Quellen sind unter anderem folgende Rottöne erwähnt: cramoisi, rubis und cerise.
39 ADHG., 3E11892, 1692 Dezember 20; 3E 11902, 1704 Oktober 29.
40 ADHG, 3E 11982, 1698 November 10.
41 Lister, Voyage en France (1698), zit. nach Claude Pris, La manufacture royale des glaces de
Saint-Gobain. Une grande entreprise sous l’Ancien Régime (ungedr. Dissertation, Université Lille
III 1975), S. 84 f.
42 Spiegelglas darf nicht mit Spiegeln selbst verwechselt werden. Bei Letzteren handelt es sich um
Spiegelgläser mit applizierter Zinnfolie.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918