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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Seite - 372 -
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372 Marie Maggiani Handlungen schuldig machten, dass sie kontinuierlich Tumulte verursachten, manche Aufträge verweigerten, ihr Gewerbe ohne die dafür nötige Autorisierung ausübten, sich einer unflätigen Sprache bedienten, sich gewaltsam zeigten oder gar betrunken ihren Dienst versahen.61 Kunden hatten kaum wirksame Mittel zur Hand, um sich vor derartigen Unannehm- lichkeiten zu schützen. Aber auch Besitzer von Tragsesseln waren vor bösen Überraschun- gen nicht gefeit, ganz gleich, ob sie Sesselträger mit fester Anstellung beschäftigten oder nur fallweise Männer für Tragedienste anwarben. Im Jahr 1696 führte etwa ein Geistlicher aus Castres Klage gegen seine Sesselträger. Diese „Vagabunden“, so der betrogene Geistli- che, hätten nach Erhalt ihrer Livree und eines Besoldungsvorschusses einfach das Weite ge- sucht.62 Auch auf den Theaterbühnen jener Zeit tummelten sich Sesselträger mit schlech- ten Manieren, die sich zum Verdruss der von ihnen beförderten Herrschaften aufmüpfig verhielten, so etwa in Molières Stück „Les Précieuses ridicules“, in dem einer der Sessel- träger, die vom falschen Marquis de Mascarille wie unverschämte, nichtsnutzige Lumpen behandelt werden, schließlich drohend einen Trageholm gegen den Marquis erhebt, um den ihm zustehenden Lohn gewaltsam einzufordern.63 Aus jener Zeit existiert jedoch auch ein rares Dokument, das in einfühlsamer Weise einen zutiefst menschlichen Blick auf die schwierigen Arbeits- und Lebensumstände von Sesselträgern wirft. Im Jahr 1712 beobachtete ein Arzt namens Valette-Falgous, dass Per- sonen, die diesen Beruf ausübten, überdurchschnittlich oft an Brustschmerzen litten und durch das ständige Heben schwerer Lasten häufig Blut auswarfen. Valette-Falgous war der Ansicht, dass diese Tätigkeit ausschließlich von jungen Männern ausgeübt werden sollte. Tatsächlich wurde sie aber auch von betagten Männern und sogar von Frauen und Mäd- chen verrichtet, was bei Schwangeren die Gefahr von Fehlgeburten mit sich brachte.64 Ähnliches gilt für Tragsessel, die mit zwei Rädern versehen waren und die als „brouettes“ oder „vinaigrettes“ bezeichnet wurden.65 Zwar durften diese nur von zwei Männern beför- 61 So verursachten etwa 1736 in Versailles die Sesselträger „journellement beaucoup de désordres, se querellent et maltraitent même le public […]; les uns sont d’une conduite très dérangée, les autres très violents et emportés; qu’ils cassent et brisent leurs chaises, soit en les traînant avec violence, soit en les lais- sant dans le milieu des cours du château ou des rues de la ville; que les uns se reposent et passent la nuit et le jour dans leurs chaises […], que d’ailleurs la plupart desdits porteurs sont généralement malpropres, vêtus de mauvais habits de différentes couleurs […]“. Uzanne 1900 (wie Anm. 19), S. 116 f. 62 ADT, B 249, 23 juin 1696: Beschwerde von Louis de Fosse, Herr von Roques und Scarlens, Erz- diakon von Castres. 63 Molière, Les Précieuses ridicules (1659), Szene 7. 64 Marcel Gausseran, L’état sanitaire de Montauban en 1712. In: Bulletin Archéologique et His- torique de la Société Archéologique de Tarn-et-Garonne 84 (1958), S. 92–99, hier S. 93–95. 65 Zu diesem Vehikeltypus siehe Jean-Pierre Ducastelle, Se déplacer en vinaigrette! Mobilité et Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Titel
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Untertitel
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Autor
Mario Döberl
Herausgeber
Alejandro López Álvarez
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20966-9
Abmessungen
17.5 x 24.7 cm
Seiten
432
Kategorien
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