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378 Mario Döberl
wegs auf das Kerngebiet des spanischen Imperiums beschränkt. Eine parallele Entwick-
lung fand in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts auch in den spanischen Über-
seebesitzungen statt.
Als 1593 der Gebrauch von Kutschen in Kastilien mittels einer restriktiven Verordnung
erneut eine starke Einschränkung erfuhr, beförderte dies abermals die Verbreitung von
Tragsesseln. Um deren Verwendung besser kontrollieren zu können, wurde 1594 zunächst
versucht, die Zahl der Sesselträger zu beschränken sowie Preistarife festzusetzen, bevor
schließlich 1604 ein „Institutionalisierungsprozess“ in Gang gesetzt wurde, der fortan nur
noch jenen Männern den Gebrauch von Tragsesseln gestattete, die sich im Besitz einer ent-
sprechenden Lizenz befanden. Die in den darauf folgenden Jahrzehnten ausgestellten Li-
zenzen geben einen guten Eindruck davon, welche sozialen Gruppen tatsächlich Tragsessel
verwenden durften. Knapp drei Viertel der Lizenzempfänger waren entweder Funktions-
träger im Verwaltungsapparat der Monarchie, Mitglieder königlicher Hofstaaten, Vertreter
klerikaler Eliten oder lokale Machthaber. Der Transport eines Mannes im Tragsessel unter-
strich somit eindeutig seinen gehobenen sozialen Status und war ein Zeichen seiner guten
Verbindungen zum Königshof und den Zentralbehörden, war es doch der Kastilische Rat,
der die Lizenzen vergab.
Die Verwendung von Tragsesseln durch Frauen unterlag hingegen vorerst keinerlei
Einschränkungen, sieht man von Verordnungen ab, die Prostituierten den Gebrauch die-
ser Transportmittel untersagte. Mit Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelten sich Trag-
sessel auch zu beliebten Vehikeln der Hofdamen, die damit dem Beispiel der spanischen
Königinnen folgten. Die in Tragsesseln transportierten Damen wurden auf den Straßen
nicht nur von ihren Sesselträgern, sondern auch von zahlreichen Dienern begleitet und
beschützt, was den Glanz ihrer öffentlichen Auftritte vergrößerte, ihren hohen sozialen
Status unterstrich und ihre Unnahbarkeit steigerte.
Das Bemühen zentraler und lokaler Regierungsbehörden, Kontrolle über die Verwen-
dung von Tragsesseln zu erlangen, führte im Lauf des 17. Jahrhunderts zu gesetzlichen
Maßnahmen unterschiedlichster Art. Ab 1635 wurde der Gebrauch von Tragsesseln mit
Abgaben verbunden, was de facto einer Besteuerung gleichkam. Andere gesetzliche Ein-
schränkungen betrafen Miettragsessel, die Regulierung der Anzahl und die amtliche Regis-
trierung der Sesselträger sowie besonders luxuriöse Ausstattungsmerkmale der Tragevehi-
kel. All diese Maßnahmen konnten die Ausbreitung von Tragsesseln sowie Entwicklungen
hinsichtlich ihrer zunehmend prunkvollen Gestaltung jedoch nur phasenweise eindäm-
men beziehungsweise verzögern, letztlich jedoch nicht aufhalten. Langfristig erfolgreich
blieben die rechtlichen Bestimmungen jedoch in ihrem Bestreben, Tragsessel als ein weit-
gehend exklusives Transportmittel und Symbol der sozialen und höfischen Elite Spaniens
zu etablieren.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918