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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren - Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Seite - 382 -
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382 Mario Döberl gung im Jahr 1657 zunächst alle Sesselträger des kaiserlichen Hofstaates, da er damals selbst unverheiratet war und deshalb kein Grund zur Verwendung von Tragsesseln bestand. Erst anlässlich seiner ersten Eheschließung 1666 wurden wieder Sesselträger aufgenommen. In den Jahren um 1680 griff auch Leopold I. selbst regelmäßig auf die Dienste von Sessel- trägern zurück. Vermutlich lagen auch in diesem Fall gesundheitliche Motive dafür vor. Fest steht jedenfalls, dass Tragsessel keinen Einfluss auf Leopolds I. Herrscherikonographie hatten, sind doch keinerlei Bildquellen erhalten, die ihn im Tragsessel zeigen würden. In seine Regierungszeit datiert auch das derzeit älteste bekannte Marstallinventar von 1678, das den frühesten kompletten Überblick samt detaillierter Beschreibungen von den am Wiener Hof vorhandenen Tragsesseln gibt. Die dort dokumentierte Gesamtzahl von sie- ben Tragsesseln war für die Größe und Bedeutung des Wiener Hofes allerdings keineswegs hoch, existierten doch beispielsweise an dem in vielen Belangen vergleichbaren Münchner Hof im Jahr 1680 drei Tragsessel mehr als in Wien. Nicht lange nach ihrer Etablierung am Kaiserhof tauchten Tragsessel auch erstmals am bayerischen Hof auf. Die zeitliche Nähe war wohl kein Zufall, denn bei dieser Neuerung scheint Wien tatsächlich eine entscheidende Rolle gespielt zu haben. Den historischen Hintergrund für diesen Kulturtransfer bildete offenbar eine Eheschließung zwischen den Häusern Wittelsbach und Habsburg: Schon im Jahr nachdem Erzherzogin Maria Anna 1635 den bayerischen Kurfürsten Maximilian I. geheiratet hatte und ihrem Bräutigam nach München gefolgt war, ließ sie sich aufgrund einer eingetretenen Schwangerschaft im Trag- sessel befördern. Schriftquellen zufolge hatte die Braut ihr Tragevehikel aus Wien in ihre neue Heimat mitgebracht. Für 1636 lassen sich am Hof der Wittelsbacher bereits zehn Ses- selträger nachweisen, von denen vier Italiener waren. Dies könnte darauf hindeuten, dass möglicherweise auch der am Kaiserhof gepflegte Brauch, italienische Sesselträger anzu- stellen, von Wien nach München gelangte. Das erste nach der Hochzeit von 1635 angelegte Münchner Marstallinventar stammt aus dem Jahr 1656. Es ist gleichzeitig auch das erste, in dem Tragsessel verzeichnet sind, nämlich sechs geschlossene und fünf unbedeckte Exemp- lare. Dies demonstriert deutlich, wie rasch und umfassend die Einführung von Tragsesseln am Münchner Hof vonstattenging. Die Kufürstin verwendete Tragsessel offenbar auch auf der Jagd. Ebenso griff ihr Gemahl Maximilian I. zumindest im fortgeschrittenen Alter auf dieses Transportmittel zurück. Dennoch scheinen Tragsessel auch am Hof der Wittelsba- cher vornehmlich von Frauen benutzt worden zu sein. Kurfürstin Henriette Adelaide, die 1652 aus Turin an den bayerischen Hof gelangte, brachte ebenfalls Tragsessel aus ihrer italienischen Heimat nach München mit. Ein äußerst prachtvolles Exemplar war der sogenannte „Turiner“ Tragsessel, der gemeinsam mit einer Kutsche und einer Sänfte ein gleichartig gestaltetes, in rot-goldenen Farben gehaltenes Ensemble bildete. Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Titel
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Untertitel
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
Autor
Mario Döberl
Herausgeber
Alejandro López Álvarez
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20966-9
Abmessungen
17.5 x 24.7 cm
Seiten
432
Kategorien
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