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Résumé 387
ordnung von 1594 wurde in den darauf folgenden Jahrzehnten mehrfach erneuert und den
veränderten Gegebenheiten angepasst. Für Madrid wurde zudem im Jahr 1609 festgelegt,
dass Inhaber einer Miettragsessellizenz nur noch auf einem einzigen Platz ihre Dienste
anbieten durften und die Sesselträger ihre Tragriemen gut sichtbar über der Schulter tra-
gen mussten, was ihre Identifizierung erleichtern sollte. Dies führte zu heftigen Protesten
seitens der Sesselträger. Sie gaben an, dass durch den Wegfall von Standplätzen eine ra-
sche Beförderung ihrer Kunden nicht mehr zu gewährleisten sei. Außerdem erachteten sie
das vorgeschriebene Vorweisen der Tragegurte als demütigend. Trotz der manifestierten
Widerstände hielten die Behörden davon Abstand, die einmal beschlossene Maßnahme
wieder rückgängig zu machen, da sie einerseits fest entschlossen waren, Kontrolle über die
Sesselträger und ihr Gewerbe zu erlangen, und sie andererseits auch versuchten, die Sessel-
träger aus Stadtvierteln zu vertreiben, in denen sich zahlreiche Prostituierte und Schau-
spieler aufhielten.
Über die Einführung von Miettragsesseln im spanischen Vizekönigreich Neapel, in
Rom und in Genua liefern die entsprechenden Beiträge im vorliegenden Band aufgrund
anderer Schwerpunktsetzungen keine konkreten Anhaltspunkte. Es wäre aber verwunder-
lich, wäre auch dort diese Entwicklung nicht bereits im 16. Jahrhundert vonstattengegan-
gen.
Für Paris lässt sich die Existenz von Miettragsesseln erstmals für 1617 dokumentieren.
Damals wurde drei Personen, nämlich einem Fabrikanten, einem Finanzier und dem da-
maligen Kapitän der königlichen Leibgarde, die sich eigens für diesen Zweck zusammen-
geschlossen hatten, das Privileg zugesprochen, zehn Jahre lang in Paris, dessen Vororten
und in den übrigen Gebieten des Königreiches Miettragsessel zu unterhalten. Im Jahr 1639
wurde dasselbe Privileg einem Musketier-Kapitän namens Cavoy und dessen Geschäfts-
partner für die Dauer von vierzig Jahren zuteil. Im Anschluss daran kamen Cavoy bezie-
hungsweise dessen Nachkommen noch zwei weitere Male, nämlich 1679 und 1719, in den
Genuss eines langjährigen Tragsesselprivilegs.
Auch abseits des französischen Machtzentrums entstanden neue Miettragsesselunter-
nehmen. So wurde beispielsweise ab 1634 in der Parlamentsstadt Aix-en-Provence ein
Miettragsesselsystem eingeführt. Im Jahr 1655 erhielt ein dort ansässiger Tapissier die Kon-
zession, über einen Zeitraum von vier Jahren zehn selbst gebaute Tragsessel zu vermieten.
Ein Jahr später baute derselbe Mann auch in Arles ein entsprechendes System auf, um im
darauf folgenden Jahr schließlich bestimmten Sesselträgern die Erlaubnis zu erteilen, ihre
Dienste mit von ihm selbst gefertigten Tragsesseln in Monfrein und bei der Messe von
Beaucoire feilzubieten. Das Beispiel zeigt deutlich, dass sich mit Miettragsesseln gute Ge-
schäfte machen ließen. Sie boten manchen Handwerkern die Gelegenheit, in entferntere
Gegenden zu expandieren und dort fallweise auch Subunternehmer zu beschäftigen.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918