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den differenzierte Tarifobergrenzen festgesetzt. Dem Betreiber der Miettragsessel wurde
zudem eine Steuerleistung auferlegt, die gleichzeitig karitativen Charakter hatte: Analog
zu einer bereits auf Mietkutschen angewendeten Regelung musste er für jeden in Verwen-
dung stehenden Tragsessel eine finanzielle Abgabe leisten, die direkt an das Armenhaus vor
dem Schottentor fließen sollte.
4 Sesselträger: Herkunft, Karriereverläufe, Reputation und
gesundheitliche Aspekte
Hinsichtlich der Herkunft von Sesselträgern fand bereits Erwähnung, dass gegen Ende des
17. Jahrhunderts in München Türken und in Wien offenbar Franzosen zur Beförderung
von Miettragsesseln herangezogen wurden. Vergleichbare Phänomene lassen sich auch für
andere Teile Europas beobachten. In manchen Fällen standen hinter der Entscheidung,
Ausländer als Sesselträger zu beschäftigen, wohl nicht nur pragmatische Gründe, sondern
auch der Wunsch, durch fremdländisches, ja teilweise exotisch anmutendes Personal das
Sozialprestige der Beförderten zu heben beziehungsweise zu bestätigen. Dies belegen ent-
sprechende Beispiele aus dem Bereich der sozialen Eliten. Auf der Iberischen Halbinsel
etwa sandte der Duque de Braganza seiner Braut zum Einzug in Elvas einen kostbaren
Tragsessel entgegen, der von zwei groß gewachsenen Männern schwarzafrikanischer Ab-
stammung getragen wurde. Vereinzelte Nachrichten weisen darauf hin, dass Mitglieder des
spanischen Königshofs wie auch spanische Vizekönige auf die Dienste maurischer Sessel-
träger zurückgriffen. So führte etwa Infantin Maria Anna auf ihrer Brautreise ins Reich
1630/31 einen Tragsessel mit zwölf Mauren mit sich. Auch der Duque de Montalto setzte
Mauren als Sesselträger ein: Als er 1652 als neuer Vizekönig in Valencia einzog, waren vier
von ihnen dafür abgestellt, seinen leeren Tragsessel zu befördern. An den Höfen Mittel-
europas erfreuten sich hingegen italienische Sesselträger großer Beliebtheit. Ab dem Auf-
tauchen erster Sesselträger am Kaiserhof in den Jahren um 1620 dominierten Italiener diese
Dienersparte. Sie verloren dort erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts an Bedeutung und
Einfluss. Verschiedene Schriftquellen belegen, dass kaiserliche Sesselträger italienischer
Herkunft bemüht waren, Verwandte aus ihrer Heimat an den Kaiserhof zu holen, um
auch ihnen eine Stelle als Hofsesselträger zu verschaffen. Vereinzelte Nachrichten liegen
auch über die genaue Herkunft der italienischen Sesselträger am Kaiserhof vor. Unter ih-
nen befanden sich nachweislich zahlreiche Genuesen, vereinzelt Mailänder und vermut-
lich auch Neapolitaner. Mit Wien vergleichbare Entwicklungen gab es offenbar auch in
München, denn unter den ersten zehn Sesselträgern am bayerischen Hof befanden sich,
wie schon an früherer Stelle erwähnt, gleich vier Italiener. Mancherorts wurde die Tatsa-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918