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Résumé 391
che, dass es sich bei Sesselträgern häufig um Ausländer handelte, jedoch negativ gesehen.
Um die Mitte des 17. Jahrhunderts häuften sich etwa in Spanien entsprechende Klagen
über dieses Phänomen. Pérez del Barrio merkte damals kritisch an, dass jährlich mehr als
20.000 Ausländer aus aller Herren Länder in Spanien einträfen, von denen viele als Sessel-
träger arbeiten würden. Ein anderer Autor, Martínez de Mata, beanstandete zu jener Zeit,
dass über 120.000 Franzosen nach Spanien gekommen seien und verschiedene Dienerspar-
ten – darunter auch jene der Sesselträger – unter Kontrolle genommen und Spanier daraus
verdrängt hätten. In Wien wurde 1703 gar festgelegt, dass überhaupt keine Ausländer mehr
Miettragsessel transportieren durften.
Für die Sesselträger, die im kaiserlichen Hofstaat der österreichischen Habsburger be-
schäftigt waren, geben zahlreiche Quellen Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen ih-
rer Berufskarrieren. Grundsätzlich ist ein hoher Spezialisierungsgrad für diese Dienersparte
kennzeichnend. Es erhielten nur jene Personen eine Stelle als kaiserlicher Sesselträger, die
sich schon andernorts in diesem Beruf bewährt hatten. „Quereinsteiger“ hat es allem An-
schein nach dabei keine gegeben. Hofsesselträger konnte etwa werden, wer bereits lang-
jährige facheinschlägige Diensterfahrungen im In- oder Ausland vorweisen konnte oder
wer bereits in einem anderen habsburgischen Hofstaat Dienst als Sesselträger verrichtet
hatte. Andererseits war eine Anstellung als kaiserlicher Sesselträger aber kein Sprungbrett
für eine prestigeträchtigere oder körperlich weniger belastende Position bei Hof. Hofses-
selträger dienten als solche bis zu ihrer Entlassung, ihrer Pensionierung beziehungsweise
bis zu ihrem Tod. Um die Sesselträger möglichst lange im Dienst zu halten, wurden die
älteren und schwächeren unter ihnen jeweils in ein Team mit zwei jüngeren, kräftigeren
Sesselträgern eingeteilt. Der Älteste der Dreiergruppe begleitete zwar stets den Tragsessel,
half aber nur im Bedarfsfall als Träger aus. Die anstrengende Tätigkeit erforderte auch re-
gelmäßige Regenerationsphasen. Die Hofsesselträger wurden deshalb zwei Großgruppen
zugeordnet, von denen alternierend die eine einen Tag im Einsatz war, während die andere
dienstfrei hatte. Für den Münchner Hof ist hingegen aus dem Jahr 1636 überliefert, dass
bei Überlandtransporten zwei Sesselträger das Tragevehikel beförderten, während ihnen
Ersatzsesselträger auf einem Wagen folgten. Nach einer Stunde Dienst erfolgte die Ablöse
durch jene Sesselträger, die sich in der Zwischenzeit auf dem Wagen ausgeruht hatten.
Für Spanien, besonders aber auch für Frankreich sind zahlreiche Zeugnisse überliefert,
die das weit verbreitete negative Image der Sesselträger dokumentieren. In einer franzö-
sischen Quelle von 1660 werden sie etwa despektierlich als „getaufte Maultiere“ tituliert.
Sie standen im Ruf, geltende Gesetze zu missachten, strafbare Handlungen zu begehen,
Tumulte zu verursachen, sich eines unflätigen Wortschatzes zu bedienen sowie trunksüch-
tig und gewalttätig zu sein. Diese Charakterisierung spiegelte sich auch in französischen
Theaterstücken jener Zeit wider, so etwa in Molières Stück „Les Précieuses ridicules“. Trotz
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Titel
- Tragsessel in europäischen Herrschaftszentren
- Untertitel
- Vom Spätmittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts
- Autor
- Mario Döberl
- Herausgeber
- Alejandro López Álvarez
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20966-9
- Abmessungen
- 17.5 x 24.7 cm
- Seiten
- 432
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918