Seite - 14 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Alexandra Millner, Katalin
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2. Kanon und Tradierung
Der Fokus auf Transdifferenz in literarischen Texten vermag es, bislang übersehe-
ne Aspekte vieldiskutierter Themen in ein neues Licht zu rücken, sodass die hin-
ter den Hauptdiskursen verborgenen Gegendiskurse und die durch Verschweigen
temporär zum Verschwinden gebrachten transdifferenten Haltungen stärker in Er-
scheinung treten. Themen, aus denen Frauen konventioneller Weise ausgeschlos-
sen waren, wie Krieg und Politik, Selbstbestimmung werden von Autorinnen wie
Bertha von Suttner oder Grete Meisel-Heß durch ein ausgeklügeltes Spiel mit Er-
zählinstanzen enttabuisiert. Transdifferente Lesarten machen zudem thematische
wie ästhetische Bereiche zugänglich, die in der tradierten Rezeption von Autorin-
nen und Autoren weitgehend außer Acht gelassen wurden. In der Auseinanderset-
zung mit weniger bekannten Werken von Marie von Ebner-Eschenbach zeigt sich
ihre Kritik an der Exklusion von Autorinnen aus dem Literaturkanon beziehungs-
weise von Frauen aus dem Wissenschaftsdiskurs (s. Ruth Whittle: Von Unkraut und
Palimpsesten. Transdifferentes Lesen und seine Folgen anhand von Fallbeispielen aus
dem Werk von Marie von Ebner-Eschenbach und Bertha von Suttner). Das Werk von
Mór (Maurus) Jókai, dem äußerst produktiven wie populären großen ungarischen
Erzähler des 19. Jahrhunderts, weist – mit Fokus auf die Frauenfiguren gelesen
– eine erstaunliche Formenvielfalt in der Darstellung der Genderrollen in Bezug
auf andere soziale Zugehörigkeiten auf und deutet auf eine differenzierte Refle-
xion des überaus virulenten Themas der ›Geschlechterfrage‹ hin. Zur Wirkung des
Transdifferenten trägt auch hier, wie mehrfach nachgewiesen werden konnte, ins-
besondere die Destabilisierung der Erzählinstanz bei (s. Endre Hárs: »Emma« alias
»Emanuel«. In Geschlechterrollen kreuz und quer durch »Jókai-Ungarn«). Das Bild
der stark kanonisierten Autorin beziehungsweise des Autors erfährt durch Mitein-
beziehen des Konzepts der Transdifferenz hinsichtlich seiner tradierten Wahrneh-
mung eine empfindliche Korrektur, was nahelegt, sowohl das Gesamtwerk als auch
die Kanonisierungsmechanismen neu zu überdenken.
Die gleichzeitige Wirksamkeit zentrifugaler wie zentripetaler sozialer Kräfte,
welche im Laufe des 19. Jahrhunderts zu steigenden gesellschaftlichen Spannun-
gen führte, lässt sich durch die Analyse von Intersektionalität sowie transdifferen-
ten Momenten, in denen die Grenzziehung zwischen sozialen Zugehörigkeiten
aufgehoben scheint, für die literaturwissenschaftliche Analyse fruchtbar machen.
Das Zusammen- und Gegenspiel von Genderrollen, Ethnizität sowie ökonomi-
schen Aspekten und die darin enthaltenen politischen, nationalen und ethnischen
Projektionen machen aus dem Vergleich von Operettenlibretti aus drei Jahrzehn-
ten die kritische Lektüre der zu Ende gehenden Habsburger Monarchie und ihrer
Gesellschaft(en) – damit einer immer vergeblicher werdenden Sehnsucht nach
einer stabilen Identität (s. Magdolna Orosz: Stereotypen von Gender und Ethnie in der
Operette der k.u.k. Monarchie). Exemplifiziert wird dieses Phänomen an den Erfolgs-
operetten Der Zigeunerbaron (1885) von Johann Strauss, Die lustige Witwe von Franz
(Ferenc) Lehár (1905) und Gräfin Mariza (1924) von Emmerich (Imre) Kálmán.
Dass auch so populäre Genres wie die Operette, welche vorwiegend auf leichte Kon-
sumierbarkeit ihrer Stoffe abzielt, vor der Thematisierung sozialer Spannungen
nicht zurückschreckten, zeugt von der gesellschaftlichen Brisanz dieses Themas.
Auch das relativ junge Forschungsgebiet der österreichischen Kinder- und Ju-
gendliteratur bringt bei einer auf die ethnisch-kulturelle Herkunft der Autorinnen
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur