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Alexandra
Millner26
Sprengkraft? Zur Beantwortung dieser Fragen werden zuerst Besonderheiten des
Untersuchungsmaterials herausgearbeitet; im zweiten Teil wird schrittweise eine
literaturwissenschaftliche Methode vorgestellt, die sich an transitorischen Identi-
tätskonzepten wie der Intersektionalität und v.a. dem Kulturkonzept der Transdif-
ferenz orientiert, um das gesellschaftspolitische Potenzial der Texte zu extrapo-
lieren. Dabei werden soziologische wie kulturwissenschaftliche Fragestellungen
berücksichtigt.
1. die liTeraTur Von migranTinnen aus ÖsTerreich-ungarn
1.1 Zeit des Übergangs – transitorische Identität
Das ausgehende 19. Jahrhundert kann aufgrund der gesellschaftspolitischen Ent-
wicklungen als Zeit des Übergangs betrachtet werden: Technischer Fortschritt,
Industrialisierung und Urbanisierung brachten grundlegende Veränderungen des
Alltagslebens mit sich. Die größere individuelle Mobilität begünstigte die meist
als Landflucht vor sich gehende Arbeitsmigration und das Entstehen eines Arbei-
terproletariats. Der durch die schnellere und einfachere Drucktechnik bedingte
Zeitungsboom führte zur umfassenderen und niederschwelligen Information der
Massen. Die Forderungen der Französischen Revolution nach einer allgemeinen
Demokratisierung der Gesellschaft wirkten im Liberalismus und – nach dessen
parteipolitischem Scheitern – in emanzipatorischen Bewegungen nach. Die Bestre-
bungen der feministischen, der nationalistischen und der proletarischen Bewegun-
gen initiierten gesellschaftspolitische Diskurse und öffentliche politische Debatten,
welche an der konventionellen gesellschaftlichen Ordnung rüttelten und die bis-
herige Position des jeweiligen Individuums in der Gesellschaft in Frage stellten.
Die literarische Produktion eignete sich dazu, fiktive Individualisierungsversuche
durchzuspielen, um ein Kräftemessen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung
darzustellen. Viele Schriftstellerinnen begannen auf diesem Weg das Selbstver-
ständnis der ›Neuen‹ Frau auszuloten; verfügten sie über Migrations- und/oder Rei-
seerfahrung, so wurde von einigen eine Gegensicht zur deutsch-österreichischen,
römisch-katholischen, patriarchalen hegemonialen Ordnung erprobt, mit dem
Ziel, Ungleichheiten in der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung aufzuheben.
Gesellschaftliche Konventionen und die daraus resultierende scheinbar starre,
unveränderbare Ordnung wurden zunehmend hinterfragt: Die Ordnung der Ge-
schlechter, das Verhältnis der Mehrheitsgesellschaft zu ethnischen Minoritäten,
die Hierarchie in Bezug auf Herkunft und/oder Besitz, der Universalismus majo-
ritärer Konfessionen und Kulturen usw. – all dies wurde in seinem hegemonialen
Anspruch zur Diskussion und als gesellschaftlich Gemachtes und deshalb auch
Veränderbares in Frage gestellt: Die gesellschaftliche Ordnung und die individuelle
soziale Position wurden von progressiven Denkerinnen und Denkern jener Zeit –
wie etwa Rosa Mayreder oder Georg Simmel – nicht mehr als gegeben hingenom-
men.3
3 | Vgl. dazu Simmel, Georg: Über sociale Differenzierung. Sociologische und psychologi-
sche Untersuchungen. Leipzig: Duncker & Humblot 1890; Mayreder, Rosa: Die Tyrannei der
Norm. In: dies.: Zur Kritik der Weiblichkeit. Jena/Leipzig: Diederichs 1905, S. 85-101.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur