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Transdifferenz 39
Je älter diese literarischen Textzeugen von Gegendiskursen,45 desto latenter
sind ihre ›subversiven‹ beziehungsweise gesellschaftskritischen Inhalte. Das lässt
sich am besten am Beispiel des feministischen Diskurses veranschaulichen: Dieser
reicht von leichten Verschiebungen innerhalb der Konstruktion der Protagonistin-
nen (Verhalten, Haltung, Selbstverständnis, Entwicklung), wie wir sie in Texten
des Realismus etwa bei Marie von Ebner-Eschenbach (z.B. Božena, 1876) feststellen
können, bis hin zu expliziten Forderungen nach grundlegenden Veränderungen
des Geschlechterverhältnisses und der rechtlichen Gleichstellung, wie sie etwa
von Helene von Druskowitz in dem Lustspiel Die Emancipationsschwärmerin (1890)
oder von Elsa Asenijeff in Tagebuchblätter einer Emancipierten (1902) formuliert
wurden.
In unserem Beispiel, der Prosaskizze Rahel von Ada Christen, gilt es, auf der
Suche nach transdifferenten Momenten im Text auf die Veränderungen einzelner
Protagonistinnen und Protagonisten innerhalb bestimmter sozialer Kategorien zu
fokussieren. In der oben angeführten Tabelle (S. 34) sind vier Veränderungen zu
vermerken: ein Todesfall, zwei Berufswechsel, zwei Bildungsanstiege und eine
Konversion, wobei nur im letzten Fall, der Konversion vom Christen- zum Juden-
tum, von einem bewussten transdifferenten Akt gesprochen werden kann. Die
christliche Schauspielerin Liese konvertiert aus Liebe zu Rafael zum Judentum
und gibt zusätzlich ihren Beruf und das nomadische Leben einer Wanderschau-
spielerin für ein sesshaftes Dasein als Bäuerin am Rande eines ungarischen Dorfes
auf, mit der Begründung: »was er nicht konnte und durfte um der Seinen willen,
das durfte ich, die Einsame … ich entsagte meinem Glauben, um sein Weib werden
zu können.«46 Eine Kurzinhaltsangabe, die auf diesen transdifferenten Moment
fokussiert, würde wie folgt lauten:
Inhaltsangabe 3: Transdifferenz 1
In Ada Christens Prosaskizze Rahel (1876) wird erzählt, wie eine junge christliche
Wanderschauspielerin aus Liebe zu einem jüdischen Hauslehrer zum jüdischen
Glauben konvertiert und ihren Beruf aufgibt.
Allerdings spielt in dem Text – und das ist ein zentrales Charakteristikum dama-
liger Literatur von Frauen mit programmatischem Hintergrund – auch das Bil-
dungsniveau, das hier an das Alter gekoppelt ist, eine besondere Rolle und wird in
Momenten der Selbstreflexion der Ich-Erzählerin auffallend häufig direkt thema-
tisiert. Die oftmalige Betonung des jugendlichen Nichtwissens in der Selbst- wie
Fremdbeschreibung kann einerseits als Entschuldigung, andererseits natürlich
auch als Selbstdistanzierung gelesen werden. Eine zentrale Rolle kommt deshalb
dem letzten Absatz des Textes zu, in dem die Ich-Erzählerin hinter dem narrativen
Akt hervortritt und in die Erzählgegenwart springt, um – in einer Art nachgestell-
ter Rahmung – die Differenz zwischen ihrem damaligen und ihrem gegenwärtigen
Ich zu kommentieren:
45 | Vgl. Geisenhanslüke, Achim: Literatur als Gegendiskurs? In: ders.: Foucault und die Li-
teratur. Eine diskurskritische Untersuchung. Opladen: Westdeutscher Verlag 1997, S. 213-
217.
46 | Christen: Rahel, S. 88.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur