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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Christoph Leitgeb54 3. Die psychoanalytische Vorstellung eines individuellen Unbewussten, in dem keine Erinnerung je verloren geht, stammt aus Josef Breuers und Sigmund Freuds Studien über Hysterie. Sie wurde prototypisch am Fall »Anna O.« entwickelt. Die Überlieferung ihrer Fallgeschichte ist Palimpsest über einem Palimpsest. Dieses Palimpsest entfaltet weniger abstrakte Bedeutungsmöglichkeiten unterschiedlicher kultureller Codes als einen Kampf um die Einschreibung individueller Erinnerung in das institutionalisierte Gedächtnis. Keine Erinnerung kann einfach ausgelöscht werden; das Unbewusste ist ein Ge- dächtnisspeicher, in dem nichts verloren geht: Diese Hypothese im Konzept der Transdifferenz ist keine genuin kulturwissenschaftliche, da sie schon die Entste- hung der Psychoanalyse begleitet. Freuds Studien über Hysterie (1895) prägen seine Auffassung vom palimpsestischen Charakter des Unbewussten sicher stärker als seine Beschäftigung mit der kulturellen Geschichte Roms. Während des 19. Jahr- hunderts verblüffen Magnetiseure und Hypnotiseure mit der »Hypermnesie« ihrer Klientinnen und Klienten, einer weit über die Norm hinaus gesteigerten Gedächt- nisleistung. Einen Höhepunkt dieser modischen Faszination lernt Freud bei Jean Martin Charcot in Paris 1885 kennen, schon vor Veröffentlichung der Studien über Hysterie. »Der Glaube an die Hypermnesie der Somnambulen ist nur die spiegel- symmetrische Kehrseite des Glaubens an die postsomnambule Amnesie, die be- reits ein Zug der alten Besessenheit war.«16 Auch das Konzept der Transdifferenz setzt voraus, dass alle von der Wirklichkeit ausgeschlossenen Alternativen in einem Raum kultureller Möglichkeiten erinnert werden und keine je verloren geht. Wie in Freuds Konzept des Unbewussten hat diese Voraussetzung die Kehrseite, dass eine Erweiterung der Wirklichkeitswahr- nehmung in diesen Raum hinein nur schwer zu stabilisieren ist. Sowohl das Kon- zept der Transdifferenz als auch die Psychoanalyse erkaufen die Hypostasierung des jeweils unbewussten Raums mit dem Eingeständnis, dass er für das alltägliche Bewusstsein nicht einfach erschlossen werden kann: Seine Entdeckung im Rah- men der Psychoanalyse setzte eben den Ausnahmezustand Anna O.s voraus, ihre Äußerung des Unbewussten im »hypnoiden« Zustand der Hysterie. Tatsächlich führt Bertha Pappenheim, als sie Anfang der 1880er Jahre zum oft beschriebenen Fall der Hysterikerin Anna O. wird, mindestens zwei Symptome einer anormalen Gedächtnisleistung exemplarisch vor. Über Monate des Jahres 1882 erlebt Pappenheim Zeitabschnitte derselben Monate aus dem Jahr 188117 wie- der. Außerdem konnte sie sich plötzlich – angeblich fließend – ausschließlich in Fremdsprachen verständigen.18 Zum einen überschreibt sie ihre Gegenwart mit 16 | Borch-Jacobsen, Mikkel: Anna O. zum Gedächtnis. Eine hundertjährige Irreführung. Übers. u. und m. e. Nachw. v. Martin Stingelin. München: Fink 1997, S. 77. 17 | Ebd., S. 27. 18 | Vgl. Breuer, Josef/Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Mit e. Einl. v. Stavros Ment- zos. Frankfurt a.M.: Fischer 1991, S. 46: »Nur in Momenten großer Angst versagte die Spra- che vollständig oder sie mischte die verschiedensten Idiome durcheinander. In den allerbes- ten, freiesten Stunden sprach sie Französisch oder Italienisch. Zwischen diesen Zeiten und denen, in welchen sie Englisch sprach, bestand völlige Amnesie.«
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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