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Palimpsest über Anna O. 59
digerweise keine echte Hypnoidhysterie begegnet; was ich in Angriff nahm, verwandelte sich
in Abwehrhysterie.34
Auch übertragen auf Transdifferenz als kulturtheoretischen Ansatz stellt sich
die Frage, ob sich eine Unentschiedenheit der Möglichkeiten über einen »flüch-
tigen Moment« hinaus stabilisieren lässt und ob diese Stabilisierung tatsächlich
»faktisch« genau die historischen Möglichkeiten wiedererstehen lässt, die der
herrschende Diskurs verdrängt: »Ich sage hier ›flüchtiger Moment‹, weil damit zu
rechnen ist, dass Transdifferenz aus den bereits ausgeführten Gründen in den
Identitäts- und Machtdiskursen rasch wieder eliminiert werden wird.«35 »Die so
entstehenden Sinnkonstrukte sind weder dauerhaft stabil, noch sind sie in ihrer
wechselnden Zusammensetzung ›homogen‹ […].«36 »Transdifferenz kann als ephe-
merer Moment oder eine kurze Phase der Destabilisierung gesehen werden.«37
»Transdifferenz dient nicht der Überwindung des dichotomen Denkens. Das ist
auch nicht möglich, solange wir nicht wirklich den Sprung in ein ganz anderes
Denken vollzogen haben – was dann heißen würde, dem Wahnsinn zu verfallen.«38
Je stärker Freud seine Hypothese von der Abwehrhysterie verallgemeinert, des-
to stärker nimmt er die Beobachtung von der palimpsestischen Textur der Erinne-
rung im Unbewussten nur als Ausgangspunkt, um das »Gewebe« der hysterischen
Äußerungen im Hinblick auf das vorausgesetzte, faktische Ereignis eines in ihm
enthaltenen, traumatischen Knotens zu entwirren. Nur über die Arbeit einer sol-
chen Entwirrung, durch Erinnerungsarbeit und die von ihr abhängige Erzählung,
kann das Verdrängte bewusst gemacht werden. Die Gewalttätigkeit dieser Auflö-
sung gegen die Abwehr des Patienten oder Patientin wird in der Formulierung
Freuds kaum verborgen.
Man kann sich leicht vorstellen, wie kompliziert eine solche Arbeit werden kann. Man drängt
sich unter beständiger Überwindung von Widerstand in innere Schichten ein, gewinnt Kennt-
nis von den in dieser Schichte angehäuften Themen und den durchlaufenden Fäden, prüft,
bis wie weit man mit seinen gegenwärtigen Mitteln und seiner gewonnenen Kenntnis vor-
dringen kann, verschafft sich erste Kundschaft von dem Inhalte der nächsten Schichten
durch die Druckprozedur, läßt die Fäden fallen und nimmt sie wieder auf, verfolgt sie bis
zu Knotenpunkten, holt beständig nach und gelangt, indem man einem Erinnerungsfaszikel
nachgeht, jedesmal auf einen Nebenweg, der schließlich doch wieder einmündet. Endlich
kommt man auf solche Art so weit, daß man das schichtweise Arbeiten verlassen und auf
einem Hauptwege direkt zum Kerne der pathogenen Organisation vordringen kann. Damit
ist der Kampf gewonnen, aber noch nicht beendet. Man muß die anderen Fäden nachholen,
34 | Breuer/Freud: Studien über Hysterie, S. 302.
35 | Lösch: Transdifferenz, S. 36; zur »Flüchtigkeit des Transdifferenten« vgl. auch Kal-
scheuer, Britta: Die raum-zeitliche Ordnung des Transdifferenten. In: dies./Allolio-Näcke/
Manzeschke (Hg.): Differenzen anders denken, S. 68-85, hier S. 79.
36 | Srubar, Ilja: Kultur und Semantik. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften/Sprin-
ger 2009, S. 129.
37 | Künstler: Twofold transitions, S. 51.
38 | Keitel, Christoph/Allolio-Näcke, Lars: Erfahrungen der Transdifferenz. In: Allolio-Nä-
cke/Kalscheuer/Manzeschke (Hg.): Differenzen anders denken, S. 104-117, hier S. 113.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur