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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Palimpsest über Anna O. 69 An anderen Stellen wird noch unsicherer, ob sich der palimpsestische Effekt objek- tiv aus einer beschreibbaren Textstruktur ergibt oder nur aus der Sicht einer Inter- pretation, die verschiedene Texte und Motive in einem einheitlichen Rahmen über- einander schichtet und damit selbst Palimpseste produziert. In der Erzählung Der Erlöser (1916)74 gestaltet Pappenheim die Themen ihres Engagements: die Haltlo- sigkeit eines in der westlichen Großstadt entwurzelten Ostjudentums, die Frauen- frage und die Assimilation. Wolf, der jüdische Protagonist, wird nach einer armen und vaterlosen Kindheit in London Maler: Auch er missachtet das monotheistische Bilderverbot, in dem es weniger um die »Unangemessenheit der Bilder in Bezug auf […] Gott« geht, sondern um ihre »gefährliche, verführerische Eigenmacht«.75 Die Frau liegt auf der Couch, der Mann richtet beruflich und privat seinen fixie- renden Blick auf sie: Die Stelle ist wie komponiert für eine Interpretation, die ein Palimpsest von Erzählung und psychoanalytischer Situation erwartet. Auf einem improvisierten Lager, einem Divan, der ganz nahe an die offene Türe des Ateliers gerückt war, lag das Modell […]. »Israel erwache!« rief Wolf, halb ernst, halb scherzend hinüber. […] »Ich mag nicht mehr, Wolf,« sagte sie und warf den einen Zopf, der halb offen vorn über die Brust fallen sollte, zurück, setzte sich auf und wollte den zweiten diademartig aufgesteckten Zopf ebenfalls abnesteln. »Aber Reisle, soeben war die Stellung ausgezeichnet, so ganz das vom Schlaf zum vollen Bewußtsein erwachende Weib, das erwachende Israel, wie ich es als Verkörperung des Her- zel’schen Gedankens darstellen will.«76 Ganz abgesehen davon, ob Breuers Behandlung von Anna O. schon die Couch ge- kannt hat: In dieser Erzählung ist die Stelle des Analytikers an der Couch mit dem titelgebenden »Erlöser« besetzt, der sein Idealbild jüdischer Kultur auf das weibli- che Modell projiziert. Auch wenn Pappenheim die Begeisterung des Protagonisten für Theodor Herzl und den Zionismus nicht teilt, kennt sie diese Projektion aus ihrem eigenen Engagement für die jüdischen Opfer von Frauenhandel. Der Künst- ler Wolf allerdings zeigt sich außerstande, »dem Original […] einzuflößen«, was er in seinem »Kunstwerk zum Ausdruck gebracht hat: die Kraft der Reinheit«.77 Die Szene und die spätere Ermordung Reisles durch den »Erlöser« kritisiert ein abstraktes Persönlichkeitsideal, das blind für die Widersprüche der jeweils anderen Vergangenheit bleibt: Aber in Wolf wurzelten auch fest und unveränderlich die altjüdischen Begriffe von Ehe und Familie und es marterten ihn Zweifel und Bedenken, ob Reisle je sein Weib würde sein kön- nen, die Freuden und die Verantwortlichkeit einer jüdischen Frau fühlend und tragend, und 74 | Pappenheim, Bertha: Der Erlöser [1916]. In: dies.: Literarische und publizistische Texte, S. 214-242; s. auch http://gutenberg.spiegel.de/buch/erzahlungen-798/3 (zuletzt eingese- hen am 3.5.2015). 75 | Assmann: Religion und kulturelles Gedächtnis, S. 97; zum Bilderverbot vgl. auch ebd., S. 72f. 76 | Pappenheim: Der Erlöser, S. 235. 77 | Ebd., S. 240.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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