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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Seite - 78 -
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Ruth Whittle78 nichts zu sagen haben, nur eine einzige Handhabe bleibt, mit der sie Kontrolle über sich ausüben können, und das ist der Selbstmord.13 Dass es sich um Selbst- mord handelt, wird nur vom Arzt ausgesprochen; die Erzählerin, eine Freundin und Schriftstellergefährtin Gertruds, ist unfähig, diesen Begriff zu benutzen. Während der begrenzte Handlungsraum der Frau in ihrer Familie sicherlich katastrophale Konsequenzen hat, und ein kaltes Licht auf den Professorenhaushalt wirft, ist das aber keineswegs die einzige Katastrophe. Was zunächst schockiert, ist die Tatsache, dass Gertrud Töchter hat, die mit ihrer Mutter so verwandt sind wie »ein paar Paradiesvögel mit einer Löwin« (DtL, S.  15). Wie kommt die Frau dazu, was soll der so ungünstige Vergleich? Eine weitere Katastrophe geht von Gertruds Mann und ihrem Vater aus. Die geballte Weisheit, die sich in den beiden versammelt, hilft überhaupt nicht, als die weibliche Figur plötzlich aus ihrem Leben verschwindet. Der Ehemann ist hilflos und benimmt sich wie ein Kleinkind. Der Mann der Wissenschaft scheint zu glauben, dass die Tote auf sein Verlangen wieder lebendig werden müsse – genauso wie er vorher von ihr verlangt hat, sich nicht in seine wissenschaftlichen Tischgespräche einzu- mischen, und sie ihm gehorcht hat. »Trudel! […] … nicht so scherzen … Aufwachen … Aufstehen!« (DtL, S.  10). Als Ornithologe kann er mit toten Vögeln ohne Weiteres umgehen, aber sobald er in einer existenziellen Situation steht, zeigt sich, dass sich sein Wissen nur auf Vögel beschränkt und sein Professorengehabe allein auf Tradition basiert. Die Schwäche des Ehemannes steht nicht weniger im krassen Gegensatz zum Ideal des professoralen Haushalts im Staate als der Akt der Frau zu den Dogmen der damaligen katholischen Kirche. Beiden ist gemeinsam, dass sie autoritätstragende Dogmen unterminieren, aber wie das für den Professor letzt- endlich ausgeht, wird uns nicht erzählt. Eine weitere katastrophale Verletzung von als bekannt vorausgesetzten Hier- archien liegt darin, dass das private Gebahren der beiden Wissenschaftler, dem Ehemann und dem Vater, welche die Jurisprudenz (der Vater) respektive die Or- nithologie vertreten (Ehemann), so gar nicht den Normen der Wissenschaft ent- spricht. Während diese beiden Wissenschaften nach der Wahrheit suchen, können die Vertreter derselben der Wahrheit über Gertrud nicht ins Gesicht sehen; ihr Tod ist nur durch die Lüge auszuhalten, dass ein furchtbarer Zufall im Spiel gewesen sein muss. Noch dazu wird diese Version davon, wie Gertrud zu Tode gekommen ist, den beiden von einer Frau nahegelegt und von Frauen (Mutter und Töchter) wie auch Wissenschaftlern als Wahrheit betrachtet. Die Frau, die diese annehmbare Wahrheit anbietet, nennt sich Gertruds Freun- din und vermittelt dem Leser oder der Leserin deren männliche Züge (vgl. DtL, S.  15), also doch wohl das mit der Wahrheit Verbundene – und keine Lüge! Die Lüge mag für Gertruds Mutter und die streberhafte ältere Tochter ein Trost sein, aber letzten Endes trägt sie doch dazu bei, Gertruds Tod umso sinnloser zu machen. Niemand hat etwas erfahren, niemand wird sein Leben umstellen, keiner kann irgendeinen Fortschritt machen. Aber vielleicht war das ja von Anfang an klar, und so war der Selbstmord eben sinnlos, sogar bevor die Lüge über den unglücklichen Zufall vorgebracht wurde. Gleichzeitig wird der Arzt, dem die Wahrheit lieber ge- wesen wäre, teilweise von der Erzählerin diskreditiert: Ihm fehle es an Barmherzig- 13 | Vgl. Tanzer, Ulrike: Frauenbilder im Werk Marie von Ebner-Eschenbachs. Stuttgart: Heinz 1997, S. 10.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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