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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Von Unkraut und Palimpsesten 79 keit (vgl. DtL, S.  14). Der Sinn von Gertruds Tod wird insofern doppelt negiert. Sie erliegt den Umständen, die es ihr verbieten, ihre Silberhochzeit nicht zu feiern und der Heuchelei zu entgehen, die mit so einer Feier für sie verbunden sind; und ihr Akt wird weder als Befreiungsakt noch als Verzweiflungstat anerkannt. Noch dazu wird diese Geschichte von einer Erzählerin erzählt, deren eigene Autorität fragwür- dig ist, denn sie vermag es nicht, Gertruds Selbstmord als irgendwie sinnstiftend darzustellen: Lieber lügt sie gegenüber der Familie, indem sie die Geschichte über Gertrud als Opfer des Revolvers propagiert, als dass sie das Verhalten der Familie gebenüber ihrer außergewöhnlichen Tochter, Ehefrau, Mutter und Schwiegermut- ter kritisiert. Das tägliche Leben arbeitet sich also an einer Reihe von fragwürdigen Realitäts- modellen ab, die alle parallel gelesen werden können. So wird auch auf die Un- tragbarkeit des für Realität gehaltenen Ideals des Professorenhaushaltes als »staats- tragend« verwiesen. In seinem Artikel über Karoline Schlegel-Schelling hatte Wilhelm Scherer 1874 den Begriff der guten »Gelehrtenfrau« definiert, wobei er jegliche Vorstellung, dass die Frau ihrem Mann und der Gesellschaft zu Liebe Op- fer zu bringen habe, unterdrückte und den Ehemann als gelehrten und auf seine Art schöpferischen Mann darstellte, dem eine ihn hegende und pflegende Frau – in diesem Fall Karoline – zur Seite steht; beide zusammen bilden nicht nur das ideale Paar, sondern auch das »Idealbild unseres Volkes«.14 Das tägliche Leben bietet ein Gegenbild zu diesem Ideal. Nicht nur ist der Gelehrte nicht so liebenswürdig, wie ihn Scherer darstellt, sondern die Frau bringt das ultimative Opfer. Aber es kommt noch schlimmer: Dieses Gegenbild, so könnte man argumen- tieren, kontrastiert irritierend mit einem weiteren Bild, das um 1908 bekannt war und das die ältere Ebner-Eschenbach gerne von sich verbreitete und verbreiten ließ: als Pendant zu Kaiser Franz Joseph, auf Fotos, auf denen sie wie er an einem gro- ßen Schreibtisch sitzt, als gealterte Matrone (und nicht als junge Frau) und als Hüterin wenn nicht des deutschen, so doch des österreichischen Volkes.15 Sie ließ sich, wie Worley belegt, gerne für die Darstellung des »›old‹ Habsburg Austria« benutzen.16 Sie selbst nimmt damit einen Platz (am Schreibtisch und in der öster- reichischen Geschichtsschreibung) ein, den sie Gertrud letztendlich versagt – wo es keine Gertrud am Schreibtisch geben kann, denn sie ist in ihrer Gesellschaft nicht überlebensfähig, da ist dann wohl auch das Volk gefährdet: Sowohl Mutter als auch Vater könnten ihm verloren gehen – oder als zivilisatorische Vorbilder schon verloren gegangen sein, insofern die »Kinder« (Untertanen verschiedener ethni- scher Herkunft) im Geschwisterstreit lagen, und es klar war, dass das habsburgi- sche Reich unter den bisher bekannten, patriarchalischen Prämissen nicht mehr zu halten war, egal wer am Schreibtisch saß. Die »Katastrophenlandschaft« in der Geschichte selbst schließt also andere, außer- halb liegende, Landschaften mit ein und verweist auf sie: den Staat, die Kirche und 14 | Scherer, Wilhelm: Caroline. In: ders.: Vorträge und Aufsätze des geistigen Lebens in Deutschland und Österreich. Berlin: Weidmann 1874, S. 356-372, hier S. 370. 15 | Vgl. Worley, Linda Kraus: The Making (and Unmaking) of an Austrian Icon: The Reception of Marie von Ebner-Eschenbach as a Geopolitical Case Study. In: Modern Austrian Literature 41 (2008), 2, S. 19-39, hier S. 26f. 16 | Ebd.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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