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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Seite - 83 -
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Von Unkraut und Palimpsesten 83 abhängigkeit in die Hand gegeben werden müssen.29 Dabei vertritt sie eine aus heutiger Sicht eugenische Position zur Frage der Gattenwahl. Aber auch bei ihr kann man feststellen, dass das, was sich eine Schriftstellerin vorstellen konnte – im Fall von Meisel-Heß freie Liebe und freie Gattenwahl – und was sie narrativ formuliert, nicht übereinstimmen. Die Kurzgeschichte Die Lösung handelt von einer jungen Frau, die, schon früh verwitwet, in der Wirtschaftskrise der frühen 1870er Jahre den Rest ihres Vermögens verliert, und zum Zeitpunkt, als die Erzählung einsetzt, finanziell mittellos dasteht: Der Schluss des Erzählers, »[a]uch ihr blieb nichts anderes übrig als der Selbstmord« (DL, S.  108), weist auf die Tatsache hin, dass Selbstmord bei Bankrott zu den durchaus üblichen Mitteln gehörte, einer scheinbar unüberwindbaren Krise ein endgültiges Ende zu setzen. Wie Gertrud, so gelangt auch sie an eine Pistole, hier bezahlt vom beinahe letzten Geld, das sie noch hat, nachdem sie die vorletzten Möbelstücke versetzt hat. Aber in der Nacht erlebt sie einen Albtraum, in dem sie ein Mann ermorden will; sie wacht auf und stellt fest, dass sie eigentlich gar nicht sterben will. Jetzt besinnt sie sich darauf, dass sie sich selbst hat, »die süße Wärme, das klopfende Herz, den blü- henden Leib, die strahlenden Augen, die ins Licht blicken durften, in die goldene Sonne!« (DL, S.  112), und dass sie ja malen kann, jahrelang Malstunden genommen hat, und sie nimmt sich vor, künftig nicht mehr passiv ihr Schicksal anzunehmen, sondern es aktiv zu gestalten und mit ihrem Malen Geld zu verdienen. Diese Entgrenzungs- oder Ausbruchsphantasie ist schwer zu lesen, vom Ton viel zu pathetisch und unglaubwürdig: Die Leserin oder der Leser von DL mag etwa Franziska von Reventlows Ellen Olestjerne (1903) gelesen haben: Das wäre ein breiter ausgearbeitetes Beispiel, bei dem eine Ausbruchsphantasie eigentlich nicht als positiver Fortschritt gelesen werden kann; zu unrealistisch ist die Erwartung, mit einem damals für Frauen als besonders unangemessen betrachteten Hobby be- ziehungsweise trotz eines (unehelichen) Kindes seinen Lebensunterhalt verdienen zu können; und ob ihr »Meister«, bei dem sie gelernt hat, ihr wirklich zu Aufträ- gen verhelfen kann, ist mehr als fragwürdig. Gerade hat sie ihren Mann verloren, der ihr ihr bisheriges, anscheinend unbeschwertes Leben ermöglicht hatte, und sofort identifiziert sie einen anderen Mann, an dem sie eine Stütze finden will. Aber vielleicht sollte die Unglaubwürdigkeit des Schlusses doch nicht so einfach abgetan werden. Was Melander über viele Schriftstellerinnen der Zeit sagt, stimmt doch gerade besonders für die Charaktere, die diese zeichnen: »Most of them la- cked the conditions necessary for the placement of their own personal experiences into a wider context.«30 So finden wir hier die enorme Distanz zwischen dem, was Meisel-Heß in ihrem nichtfiktionalen Werk fordert, und der Realität einer ihrer Protagonistinnen. Die Einschätzung, dass Die Lösung ästhetisch unbefriedigend ist, weist eher auf unser Lesebedürfnis hin als auf die soziale wie auch erzähleri- sche Realität, die Meisel-Heß antraf, als sie ein Ende für ihre Geschichten suchte, das erzählbar war und, so muss man hier anmerken, eine Tradition in der Lyrik 29 | [Meisel-Heß, Grete]: Die sexuelle Krise. Eine sozialpsychologische Untersuchung. Jena: Diederichs 1909. 30 | Melander, Ellinor: Towards the Sexual and Economic Emancipation of Women. The Phi- losophy of Grete Meisel-Hess. In: History of European Ideas 14 (1992), 2, S. 695-713, hier S. 695.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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