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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Ruth Whittle92 Gesellschaft zur Gänze gefährdet ist und deren Fundamente in Form überholter Traditionen (Kirche, Akademiker) sich als brüchig erweisen. Das steht im krassen Gegensatz zu der Darstellung der Autorin an einem richtig großen Schreibtisch, wie ihn auch der Kaiser besitzt. Dass Frauen am Schreibtisch in Deutschland und Österreich kein Status zugeschrieben wird, verbindet Das tägliche Leben mit Aus Franzensbad; gleichzeitig wird aber dennoch darüber geschrieben, und dass Ebner- Eschenbach sich gerne in der gleichen Pose wie der Kaiser am Schreibtisch sitzend zeigt, kann auch eine gewisse Aufmüpfigkeit gegen diesen Parameter bedeuten. In Das tägliche Leben und in Die Verratene von Meisel-Heß merkt man, dass das Thema Selbstmord schwer erzählbar ist. In der zweiten Geschichte von Meisel- Heß, Die Lösung, wird zwar der Selbstmord umgangen und ein befreiender Schluss erzählt, aber dieser erscheint auf den ersten Blick unglaubwürdig. Die Erzählerin erschreibt ihrer Protagonistin eine Alternative zum Selbstmord, und betrachtet man die beiden anderen Kurzgeschichten gemeinsam, stellt sich dieses Erschreiben als die einzige Überlebensmöglichkeit für die Protagonistin dar und sollte insofern ernstgenommen werden. Alle Geschichten setzen sich ausgesprochen oder unausgesprochen mit dem Thema des Ver-rückt-Werdens auseinander. In Die Lösung kommt die Protagonistin durch einen bedrohlichen Traum gerade noch zur Besinnung, bevor sie von ihrer Pistole Gebrauch macht, und gewinnt damit eine Identität, egal wie zweifelhaft diese auch sein mag. In Die Verratene finden wir, dass nicht nur die Protagonistin von Sinnen ist, sondern dass die durch ihre Fehlgeburt ausgelöste Geisteskrankheit nicht so sehr ihr individuelles Merkmal ist, als vielmehr die gesamte Gesellschaft charakterisiert, insofern diese jeden Diskurs über ihr Leiden in Bezug auf Geburt, Tod und Sexualität unterdrückt beziehungsweise einen solchen erst gar nicht zur Verfügung hat. Das Problem Wahnsinn geht also hier über das Genderproblem hinaus. Das trifft entgegen dem ersten Anschein auch auf Die Waffen nieder! zu. Natür- lich ist Martha von vornherein dem Vorwurf ausgesetzt, Tabus zu brechen, über die sie sich als Frau schon gar nicht zu äußern hat. Schon allein deshalb könnte sie der Leserschaft als ver-rückt erscheinen. Noch dazu stellt sie sich selbst im Werk nicht gerade als physisch oder psychisch stabil dar. Aber sie unternimmt von An- fang an Manöver, um jeden an sie persönlich gerichteten Vorwurf des Wahnsinns zu entkräften, oder anders gesagt: Sie argumentiert durch ihre Manöver, dass sie nur in dem Grade verrückt sein kann, wie es auch eine Gesellschaft ist, die Kriege befürwortet und es nicht erwarten kann, ihre Männer in die Schlacht zu schicken und dort abmetzeln zu lassen. Tüchtige Unkrautaktionen, Knotenlösen und Neuverknotungen erschließen Ver- webungen, die Formen narrativer Subversion an die Oberfläche bringen. Diese sind nicht einfach hier und da vorhanden (wo wir sie auch bisher haben lesen können), sondern sie können erstens tradiert sein, z.B. Ausbruchsphantasien, und erweisen sich zweitens nur bedingt als genderspezifisch. Die Formen der Subversion, die ich hier aufgezeigt habe, sind sozusagen in die Gesellschaft der Jahrhundertwende eingewoben. Sie weisen darauf hin, dass Frauen keinen Sonderfall darstellen, son- dern ihr Leiden für das der Gesellschaft symptomatisch ist beziehungsweise dieses widerspiegelt. Die Erzählerin in Das tägliche Leben etwa ist aktiv zu Gange bei der Entknotung der Konstrukte ›glückliches Ehepaar‹, ›Mutter mit schönen Töchtern‹,
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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