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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Endre Hárs100 schworen durch den »letzten Mann« (S.  240) der Stadt, den achtzigjährigen blin- den Alten, der die Ereignisse mit Zitaten aus Samuel 1.4.12ff. als Präfiguration für das Schicksal der (sabbatianischen) Széklergemeinde begleitet. Dennoch kreiert der durch die Frauen Gestalt annehmende Widerstand – der zugleich die eigenen Söhne vernichtet – auch ein Eigenes, das in mythologischen Mustern (Amazonen) beziehungsweise in Völkertypologien (Széklerinnen) vorgeprägt ist. Das seltsame Spiel der Selbstbehauptung wird intensiviert, indem die starken Frauen von Sep- siszentgyörgy, repräsentiert durch Judith, auch ihre ›Weiblichkeit‹ einbüßen. So ist es zu verstehen, wenn auf dem Gesicht von Judith in der oben zitierten Beschrei- bung ein Doppeltes, ein sonniges Gelb und ein gewittriges Blau, erscheinen und ihre Gestalt in Zeitlosigkeit und lebloser Monumentalität verharrt. Durch »[i]hre hohe, vorherrschende Gestalt, ihr[en] durchdringende[n] Blick, die kalten, kraftvol- len Züge ihres Antlitzes« und durch ihre Funktion als »Führer der Dagebliebenen […], nachdem der männliche Zweig ausgestorben« (S.  248),6 bekommt ihre Rolle, die ins Extreme zu kippen droht, etwas verwirrend ›Männliches‹. Mag der Wider- stand der Schwachen als solidarischer Akt mit den gefallenen Starken zu denken sein, so relativiert hier eine über den Zweck hinausgehende Rollenübernahme die Wiederherstellung der nationalen Identität und macht sie als Aufrechterhaltung des früheren Selbst fragwürdig. Dem Konzept der Repräsentation des Nationalen kommt in die Quere, dass die ›Herrschaft der Széklerinnen‹ von Sepsiszentgyörgy das Ungarische und das Männliche ebenso zur Perfektion treibt, wie sie es durch subnationale (sabbatianische Székler) und weibliche Fremdbestimmung (v)ersetzt. Durch die Handlungen der Széklerinnen kommen spezifische Wertungen zum Vorschein – eine Art (sub-)nationalen ›Genderings‹ verkompliziert die Frontstel- lung zwischen Freund und Feind.7 Den nicht ideellen Gegenpart dieser Figur als weibliche Gestalt des Bösen fin- det man in der ehemaligen Zarin Saßa im Roman des künftigen Jahrhunderts (1879; A jövő század regénye, 1872–1874) – in Jókais utopischem und Science-Fiction-Ro- man über die Weiterentwicklung von Wissenschaft und Weltpolitik zwischen 1952 und 2000. Saßa ist »ein wahrer weiblicher Robespierre«, ein »Dschingiskhan im Unterrocke«,8 »[e]in Weib von Mannesruf, welcher bereits ganz Europa erfüllt« (Bd. III, S.  3); eine Frau, die in der großen Russland-Revolution »mit eigenen Hän- den vor dem souveränen Volke die Thorflügel« öffnet, und – »während man den Fürsten an dem Wappenschilde seines eigenen Palastes aufknüpfte« – »in Män- nerkleidern, mit kurzgeschnittenem Haare […] das eigene Palais in Brand« (Bd. I, S.  210) steckt und das nihilistische Russland gründet. Saßa versteht es nicht nur, die eigenen Machtwünsche in einer imperialistischen Welt durchzusetzen, sie ist 6 | Der Wortlaut wurde geändert: Statt »vorherrschend« steht in der deutschen Übersetzung »imponirend«, im ungarischen Original »uralkodó«, JMÖM, Bd. 2/A, S. 154. 7 | Auch beim Feind ist übrigens eine Doppelung zu beobachten: Die zuerst anrückenden »tscherkessische[n] Reiter« (Jókai: Schlachtenbilder, S. 251) greifen die Stadt nicht an, sind sie doch, wie der Erzähler andeutet und die Forschung aus zeitgenössischen Meinungen nachweist, ein verwandtes Volk aus der Vorgeschichte. In dieser Eigenschaft unterwerfen sie sich dem Willen der Frauen von Sepsiszentgyörgy und müssen in der Folge bestraft und durch ›echte‹ Russen ersetzt werden. Vgl. S. 252 beziehungsweise JMÖM, Bd. 2/A, S. 596. 8 | Jókai, Maurus: Der Roman des künftigen Jahrhunderts in acht Büchern. O.Ü. 4 Bde. Preß- burg/Leipzig: Stampfel 1879, Bd. I, S. 55.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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