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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Endre Hárs106 Katharina hielt mit weiblichem Entzücken die Höhlung des Helmes unter den Springbrunnen, der nach den Geboten bäuerlicher Gelehrsamkeit angefertigt war.19 Bei all dieser Anverwandlung kann Ludwig Vavels verwunderte Reaktion am Ende dieser Szene auch metafiktional gewendet und auf eine Figur bezogen werden, die durch ihre doppelte Transgression (als Wahl-Ungarin und ›starke Frau‹) be- zaubert und sich durch ihre ›gewollte Unglaubwürdigkeit‹20 über die Handlung erhebt: »Mit leisen, im Moos unhörbaren Schritten war er an ihre Seite gelangt – und schloß die vor Freude Aufjauchzende in seine Arme. ›O, welch ein Weib bist Du!‹« (Bd. III, S.  163) An dieses »Weib« kann sich selbst der Liebhaber tatsächlich nur noch anschleichen. Für eine weniger romantische Anverwandlung, deren Schwierigkeiten für eine Heldin der Differenz erzählerisch expliziert und als signifikant herausgestellt wer- den, bietet sich erstens die Gestalt der Timea aus Jókais vielleicht berühmtestem Roman Ein Goldmensch (1873; Az arany ember, 1872) an. Timea ist halb Türkin, halb Griechin, und gerät mit ihrem vor dem Sultan flüchtigen Vater nach Ungarn und ins Romangeschehen. Der von ihrem Vater mitgeschleppte türkische Schatz ist zweifelhafter Herkunft und wird durch die Hauptfigur, Mihaly Timar, erwor- ben. Der damit einhergehende Erwerb einer moralischen Last verwandelt diesen in einen von Gewissensfragen geplagten reichen Mann, einen modernen Midas. Timea wird die Frau von Timar, ohne ihn zu lieben, und kann auch nach dessen vorgetäuschtem Tod – und Abgang auf eine utopisch beschriebene Donauinsel – kein Glück finden. Was Timea als Romanfigur funktional anhaftet, ist ihre Rolle als symbolisches Gegenüber von Noëmi, der Inselfrau, die Timar das lang ersehnte Liebesglück beschert. Dank dieser Gesamtstruktur und des Hauptakzents auf Ti- mar als moderne gespaltene Persönlichkeit übersieht man dabei leicht, dass Timea auch selbst eine Figur ist, die per se Interesse verdient – und zwar v.a. deshalb, weil auch ihre Persönlichkeit durch vielfältige Merkmale motiviert ist. Ihre emotionale und sexuelle Kälte wird üblicherweise ausschließlich als auf Timar bezogen ge- lesen und vom Erzähler auch dahingehend motiviert, dass sie in Major Katschuka verliebt ist – ein Liebes- und späteres Eheglück, das übrigens in Abhebung von Timars Inselglück im Sand verläuft. Hinter der weißen Oberfläche der »Alabaster- statue«21 verstecken sich jedoch komplexe Eigenschaften: Dies weiße Antlitz war ihrem Gatten noch immer ein ungelöstes Räthsel; er konnte darin nicht lesen, ob diese Frau schon Alles weiß? ob sie etwas ahnt oder nichts? was unter dieser kalten Gleichgiltigkeit sich verbirgt, ob zurückgehaltene Verachtung, oder hingeopferte, be- 19 | Jókai, Maurus: Das namenlose Schloß. Roman. O.Ü. 3 Bde. Berlin: Otto Janke 1879, Bd. III, S. 155-156. 20 | Hier muss wieder auf Margócsys oben erwähnte These verwiesen und deren Anwendung auf Jókais Frauenfiguren zitiert werden: »Die für Frauen bestimmten männlichen Rollen in der Welt, in der Gesellschaft […] können auch eine offen ideologische Funktion erfüllen: Durch sie wird jene große Theorie widerlegt, die neben dem Ideal des aktiven Mannes die naturgegebene Schranke weiblicher Passivität aufstellte.« Margócsy: Nőiség, női szerepek és romantika, S. 58. 21 | Jókai, Maurus: Ein Goldmensch. Roman. 5 Bde. Deutsch hg. von einem Landsmann und Jugendfreunde des Dichters. Berlin: Janke 1873, Bd. III, S. 3.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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