Seite - 123 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Stereotypen von Gender und Ethnie in der Operette der k.u.k. Monarchie 123
den. Die Vervielfältigung von Liebesaffären, auf die im Stück hingedeutet wird,
steigert nur noch die ironische Wirkung, denn während der Suche nach dem Eigen-
tümer des Fächers, auf dem eine Liebesbotschaft geschrieben ist, wird angedeutet,
dass Kromows Frau Olga die Liebhaberin von St. Brioche und Bogdanowitsch’ Frau
Sylviane die Liebhaberin von Cascada sein dürfte. Das in gemeinsamer Tanzorgie
gefeierte Happy End im als Maxim’s eingerichteten Palais von Hanna Glawari lässt
all die ambivalenten Momente bestehen, wodurch die strenge und scheinbar ange-
nommene und zu befolgende Ethik aufgelockert und dem Unterhaltungsmoment
untergeordnet wird.
2.1.3 Rückzug in eine abgekapselte Idylle
Emmerich Kálmáns Operette Gräfin Mariza wurde 1924 im Theater an der Wien
uraufgeführt und erlebte danach einen ungeheuerlichen – auch internationalen
– Erfolg. Das Stück gehört noch zur »silbernen Ära«; es ist zugleich aber eine Art
Abgesang auf eine Zeit, die mit dem Zerfall der Monarchie kurz zuvor zu Ende ge-
gangen ist. In dieser Qualität könnte es auch als ein (musikalisches) Produkt der
Nostalgie gesehen werden, die sich nach dem Ersten Weltkrieg in verschiedenen
kulturellen Diskursen äußerte. Die in Gräfin Mariza vorgestellte Bühnenwelt be-
schwört eine vergangene Welt herauf, deren Brüche in der Gegenwartshandlung
der Operette sichtbar werden.29 Die Rückwendung ist auch in der Verortung und
räumlichen Einrichtung des Stückes sichtbar: Die Handlung spielt – wie im Zi-
geunerbaron – in einer entfernteren Region, im damals von Ungarn abgetretenen
Siebenbürgen beziehungsweise im Süden der ehemaligen Monarchie. In die Lie-
beskonflikte sind hier, dem Zigeunerbaron ähnlich, zwei beziehungsweise drei Paa-
re verwickelt. Diese weisen auch gesellschaftliche Spannungen und Unterschiede
auf, hier wiederum v.a. beim »ersten« Paar: Mariza ist eine Gräfin mit ausgedehn-
ten Besitztümern, der unter dem Namen Béla Török als Gutverwalter dienende
Tassilo hingegen ein verarmter Graf Endrődy-Wittenburg. Somit wäre auch das
Problem gegeben: Mariza will für sich selbst und nicht für ihren Reichtum geliebt
werden, und solange sie glaubt, Tassilo habe es auf die reiche Mitgift abgesehen,
will sie ihrem Gefühl nicht folgen. Somit ist sie ähnlich wie Hanna Glawari eine
starke Frau, die jedoch in sozialen Konventionen gefangen ist, da sie über den (an-
geblich) niedrigeren sozialen Stand des Partners nicht hinwegsehen und sich Liebe
nur im Rahmen gesellschaftlicher Konventionen, »ins Märchenland«30 versetzt,
vorstellen kann. In der Realität bleibt sie die verwöhnte adelige Frau, die einen
ihr sozial gleichgestellten (und wieder vermögenden) Partner findet. Graf Tassilo
nimmt zwar eine Arbeit an und fällt somit aus seinem gesellschaftlichen Status
29 | Csáky betrachtet die inhaltlose Nostalgie als wichtigen Charakterzug der Operette
nach 1918: »Die Operette alten Typs wurde also nach 1918 weitgehend ›sinnentlehrt‹ [sic!].
Man verstand ihre Aussagen, ihre Pointen zunehmend nicht mehr, sie mußte daher allmäh-
lich zur puren Nostalgie verflachen, und auch das Bild, das sie von einer Gesellschaft, die
in Auflösung begriffen war, auf der Bühne entstehen ließ, erweckte nur mehr Reminiszenzen
an eine vergangene, nicht mehr vorhandene Zeit.« Csáky: Ideologie der Operette und Wiener
Moderne, S. 291.
30 | Kálmán, Emmerich: Gräfin Mariza. Operette in drei Akten. Libretto von Julius Brammer
und Alfred Grünwald. Leipzig/Wien/New York: W. Karczag 1924, S. 21.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur