Seite - 128 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Bild der Seite - 128 -
Text der Seite - 128 -
Magdolna
Orosz128
obwohl der aktuelle politisch-kulturelle Kontext des Stücks es nicht mehr bezie-
hungsweise nur als nostalgische Erinnerung zulässt.
Die lustige Witwe ist in kulturell-ethnischer Hinsicht anders ausgerichtet: In der
Epoche der sich zuspitzenden Balkankrisen angesiedelt, spielt die ethnische, aber
auch politische Problematik der südlichen Region der Monarchie in das Stück he-
rein.45 Indem aber der Ort nach Paris beziehungsweise ins fiktive Pontevedro ver-
legt wird, bleiben diese Spannungen durch politische Anspielungen und eine auf
die Liebesbeziehungen übertragene politische Metaphorik im Text unterschwellig:
Ich rede nur als Diplomat,
Wahrhaftig nur ein Standpunkt, der längst überwunden;
Ein Zweibund sollte stets sie sein,
Doch bald stellt sich ein Dreibund ein –
Der zählt oft blos nach schwachen Stunden!
Vom europäischen Gleichgewicht,
Wenn Einer sich verehelicht,
Von dem ist bald nichts mehr zu spüren,
Der Grund liegt meistens nur darin:
Es gibt, Madame, zu sehr sich hin
Der Politik der off’nen Türen!46
Der Gegensatz zwischen Tradition und Modernität, d.h. zwischen dem idyllischen
Heimatland und der Metropole, aufgebaut im pontevedrinischen Fest bei Hanna
Glawari, wird auch von der Musik unterstützt und geglättet: Das Vilja-Lied und
der Kolotanz lassen die slavische Region und Kultur einfließen; der alles über-
brückende Walzer sowie der Cancan, den am Ende alle, Pariserinnen und Pariser,
Pontevedriner und Pontevedrinerinnen, tanzen, schaffen einen illusorischen Aus-
gleich. Das ist umso mehr möglich, als letztendlich beide als Kulissen im Palais
der lustigen Witwe eingerichtet sind und auf das Illusionär-Spielerische sowie auf
eine ironische Kritik sowohl an der heimatlichen als auch an der großstädtischen
Zivilisation hindeuten.
3. Vom ausgleich zum zerfall:
idenTiTäTssTifTung durch opereTTenwelTen
Die drei Beispiele beziehungsweise ihre Analysen ziehen einen breiten Bogen in
Bezug auf die monarchische k.u.k. Identität v.a. durch die musikalisch-theatrali-
sche Postulierung sozialer, politischer und kultureller Probleme, wobei die gender-
charakteristischen und ethnischen Selbst- und Fremdbilder beziehungsweise ihre
Veränderungen auf tiefere Entwicklungen in musikalisch geprägten Artikulierun-
gen hindeuten: Die Operette wäre somit keineswegs die »unpolitischste Kunst«,47
45 | Vgl. dazu die detaillierten Ausführungen in Csáky: Ideologie der Operette und Wiener
Moderne, S. 89-100.
46 | Lehár: Die lustige Witwe, S. 36.
47 | Magris: Der habsburgische Mythos in der modernen österreichischen Literatur, S. 202.
Lichtfuss spricht von einer »unpolitischen Haltung« der Operette, wofür er neben strukturel-
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur