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Tamara
Scheer160
nen. Ein Großteil dieser k.u.k. Romanautoren haben selbst Militärdienst geleistet
beziehungsweise sind Offiziere gewesen. Es handelt sich demnach um die – oft
stark überzeichnete – literarische Verarbeitung von Selbsterlebtem. Auch wenn
heute nur mehr ein Bruchteil dieser Literatur bekannt ist und gelesen wird, so be-
saß sie in den 1920er und 1930er Jahren eine immense Öffentlichkeit und prägte
das Bild der k.u.k. Armee nachhaltig. In jedem Fall werden in dieser Literatur beide
Ebenen der Identitätskonstruktion – sowohl der bürokratische als auch der indivi-
duelle Umgang damit – beschrieben.
3. eThnische KonsTruKTion und zuschreibungen
durch die miliTärbüroKraTie
Studien, wie jene von Peter Becker und Pieter M. Judson, verweisen darauf, dass
die sich unaufhörlich verdichtenden bürokratischen Strukturen im Verlauf des
19. Jahrhunderts einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Nationalisierung
breiter Bevölkerungsschichten hatten. Die nunmehrigen Staatsbürger und Staats-
bürgerinnen mit ihren verfassungsmäßig garantierten Nationalitätenrechten hat-
ten wiederkehrend statistisch fassbar und einer Nationalität zuordenbar gemacht
zu werden. Obwohl in der österreichischen Hälfte niemals nach der ethnischen
Zugehörigkeit oder Muttersprache gefragt wurde, wurde bei den Befragten von der
Umgangssprache automatisch auf die Nationalität geschlossen. Man folgte somit
dem damals herrschenden Zeitgeist, wonach der Sprachgebrauch in allererster
Linie für eine Zugehörigkeit ausschlaggebend war. Es wurde dem Einzelnen fast
unmöglich gemacht, der eigenen ethnischen Zugehörigkeit gegenüber eine indif-
ferente Haltung einzunehmen.11 Diese Haltung der Verwaltung stellte v.a. jene vor
eine Entscheidung, die aus ethnisch gemischten Familien stammten oder bewusst
nicht einer als illoyal oder separatistisch konnotierten Nationalität zugeordnet
werden wollten. Und selbst eine monarchieweit agierende Institution, die sich als
supranational gerierte, wie die gemeinsame Armee, ließ dem einzelnen Soldaten
letztlich keine Wahl. Diese Zuordnung wurde nach Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht zu einem Massenphänomen.
Nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht wurde ein immer größerer
Teil der männlichen Bevölkerung – unabhängig von Muttersprache, Nationalität
oder Religionsbekenntnis – eingezogen. Ab den 1880er Jahren wurde auch die
männliche Bevölkerung Bosniens und der Hercegovina gemustert. Gemäß öster-
reichischer Verfassung besaß jede Volksgruppe/Nationalität das Recht, in der Öf-
fentlichkeit, d.h. im Amt und in der Schule, ihre Sprache zu gebrauchen. Dieses
Prinzip wurde von der gemeinsamen Armee übernommen. Kaiser und Armeefüh-
rung erhofften sich dadurch eine gewisse Dankbarkeit gegenüber dem Reich von
Seiten der Soldaten sowie eine positive Einwirkung auf deren Loyalität. Natürlich
steckte auch eine rein praktische Überlegung dahinter. Die militärische Ausbil-
11 | Vgl. Becker, Peter: Sprachvollzug: Kommunikation und Verwaltung. In: ders. (Hg.):
Sprachvollzug im Amt. Kommunikation und Verwaltung im Europa des 19. und 20. Jahrhun-
derts. Bielefeld: transcript, 2011, S. 9-42; Judson, Pieter M.: Guardians of the Nation. Ac-
tivists on the Language Frontiers of Imperial Austria. Cambridge, Mass./London: Cambridge
University Press 2006.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur