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Konstruktionen von ethnischer Zugehörigkeit und Loyalität 171
nach außen zu tragen. In einem Telegramm an die Militärkanzlei des Kaisers woll-
te er unbedingt hervorgehoben wissen, dass Gerba bei dem Diner ȟberaus feier-
lich und herzlich empfangen wurde, was – wie er glaubte – seiner Zugehörigkeit
zur griechisch orientalischen Religion zuzuschreiben gewesen sein dürfte.«44 Eine
solche Aussage gegenüber der Militärführung wurde vermutlich auch deshalb ge-
macht, weil Zanantoni darauf hoffte, ihn als Serben am besten diskreditieren zu
können.
Doch war es nicht nur die Frage danach, ob Gerba Serbe oder Kroate war. Jene
Region, aus der er stammte, war ehemals die Militärgrenze gewesen und besaß
eine starke regionale (Militär-)Identität. Die Bewohner bezeichneten sich selbst als
Grenzer, was auch ihrer Fremdbezeichnung durch die anderen Zeitgenossen ent-
sprach – unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, Sprache oder Nationalität.
Die Soldaten und Offiziere aus der Militärgrenze galten seit der Revolution und den
Freiheitskämpfen in Ungarn 1848–1849 als besonders kaisertreu. Bis 1914 hatte
sich diese allgemeine Ansicht über die Region trotz steigender südslavischer Affi-
nitäten und serbisch-nationaler Aspirationen nicht drastisch ändern können. Aus
diesem Grund wiesen mehrere Autoren auf Gerbas »Grenzerherkunft« hin. Dies
bedeutete aber nicht nur Loyalität gegenüber dem Kaiserhaus. Das Attribut »Gren-
zer« wurde auch verwendet, um eine Balkanmentalität, Einfachheit und niedri-
geren Bildungsgrad anzuzeigen. Der Offizier Julius Lustig-Prean setzte deshalb
seinen Aussagen über Gerba hinzu: »Kroate mit nicht sehr weltmännischen Al-
lüren«, bescheinigte ihm gleichzeitig aber die Herkunft aus dem »dynastietreuen
Grenzertum«.45 Die Grenzeridentität war somit unabhängig von Religionszugehö-
rigkeit und ethnischer Zugehörigkeit. Sie wurde hinsichtlich der Loyalität ähnlich
benutzt wie die Bezeichnung »Offizierssohn«. Die Historikerin Catherine Horel
bezeichnet Raimund Gerba (»Rade Grba«) übrigens als Serben, indem sie feststellt,
dass er der erste serbische General gewesen sei, der zum Kommandanten der Gar-
nison Zagreb avancierte.46
Während des Ersten Weltkriegs veröffentlichte Gerba eine Studie mit dem Titel
Serbiens Verlangen nach Vereinigung mit Österreich, die 1918 im Verlag der öster-
reichisch-ungarischen Okkupationsverwaltung in Belgrad erschien. Tatsächlich ist
Gerbas Fall kein Einzelfall und bezieht sich nicht nur auf Südslaven. Er zeigt aber,
dass weder Sprachgebrauch noch Religionszugehörigkeit und ethnische Zugehö-
rigkeit in vielen Fällen irgendetwas darüber aussagten, ob der Betroffene der Ge-
samtmonarchie loyal gegenüberstand. Nicht überliefert dürfte sein, wie sich Gerba
selbst bezeichnete. Da er bereits 1918 starb, lässt auch sein Lebensweg nach 1918
keine Schlüsse zu. Denn erst nach dem Ende der Donaumonarchie mussten Of-
fiziere, die weiter in der deutschösterreichischen Armee dienen wollten, in einem
Fragebogen ihre Nationalität angeben. Doch auch dies gilt es kritisch zu hinter-
44 | ÖStA/KA/NL, B/6:1, Eduard Zanantoni: Erinnerungen aus meinem Leben (handschriftl.
unveröff. Ms., 1922), S. 152-156.
45 | ÖStA/KA/NL, B/5:1, Julius Lustig-Prean von Preanfeld: Aus den Lebenserinnerungen
eines alten k.u.k. Offiziers (maschinschriftl. Ms., Winter 1940/41).
46 | Vgl. Horel: Soldaten zwischen nationalen Fronten, S. 163.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur