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Ein Migrant par excellence 183
Habsburgerreiches mit vielen Verbindungen nach Wien. Das Thema Franko und
Wien ist bis jetzt zu wenig erforscht, obwohl gerade in den letzten Jahren gewagte
Hypothesen generiert worden sind, deren Spannweite ziemlich groß ist. Dabei ver-
fahren sie genauso per Exklusionen, nur in umgekehrter Richtung, etwa durch
die Behauptung, dass Franko in Wien Fuß fassen und ein österreichischer bezie-
hungsweise deutschsprachiger Schriftsteller werden wollte. Wie dem auch sei, war
Wien ein wichtiger Meilenstein in seiner unter dem Einfluss der äußeren Zwänge
abgebrochenen wissenschaftlichen Laufbahn – ein Ort, an dem seine Korrespon-
denzen, publizistischen Arbeiten und literarischen Texte in Deutsch veröffentlicht
wurden, also eine Tribüne für sein Auftreten und seine Präsenz in deutscher Spra-
che, und wenngleich nicht die einzige, so doch wohl eine sehr wichtige.
Frankos Interesse für die deutsche Literatur reichte von den Merseburger Zauber-
sprüchen über das Nibelungenlied bis hin zur Literatur von Lessing, Klopstock, Goethe,
Schiller, Heine und Keller. Auch seine deutschsprachigen Autorinnen und Autoren
las er und äußerte sich zu ihrem Œuvre, nicht immer schmeichelhaft, wie beispiels-
weise über Friedrich Spielhagen (1829–1911). Der deutsche Romancier war bereits
zu seinen Lebzeiten kaum beachtet worden, sehr wohl aber von Ivan Franko, der
zumindest seinen größten Wurf, die 1078 Seiten umfassenden Problematischen
Naturen (1861), sowie In Reih’ und Glied (1866), seinen anderen Roman, gut kann-
te. Ein Zitat aus diesem letzteren Werk wurde sogar zum Leitmotiv in einem der
literarischen Texte Frankos, nämlich Iz zapisok ńeduźnogo (Aus den Notizen eines
Kranken, postum 1925), in dem es durchaus positiv konnotiert wird. In einer seiner
Korrespondenzen aus dem Jahr 1882 berichtet Franko jedoch: »In diesen Tagen
habe ich zwei Romane von Spielhagen, In Reih’ und Glied und Problematische Na-
turen, gelesen. Der depperte Deutsche hat so viel Unfug gefaselt, dass Götter davor
bewahren mögen.«27
Das Thema »Ivan Franko und die deutsche Literatur« weist zahlreiche Facet-
ten und Verflechtungen auf, es beinhaltet wissenschaftliche Aufsätze zu den ein-
zelnen Autorinnen und Autoren, Themen, Epochen, mehrfache Äußerungen zur
Poetik und Ästhetik außerhalb der wissenschaftlichen Texte, eine lange Liste von
angefertigten und herausgebrachten Übersetzungen (aus dem Deutschen ins Uk-
rainische sowie aus dem Ukrainischen ins Deutsche), zahlreiche Reminiszenzen
und Einflüsse in seinem eigenen literarischen Schaffen. Frankos Lis Mykyta (Der
Fuchs namens Mykyta) geht auf Goethes Reineke Fuchs und darüber hinaus auch auf
ältere Quellen zurück. Frankos Lis Mykyta ist ein langes, in Versen verfasstes und
in zwölf Kapitel gegliedertes Werk, das der Gattung Märchen zugeordnet wird und
sich auch heute noch in der Sparte »Kinder- und Jugendliteratur« befindet. Dabei
wächst der Stoff bei Franko zur bissigen und humorvollen Gesellschaftssatire an,
die den Bezug zum Quellenstoff auf das Formale reduziert. Es handelt sich um ein
eigenständiges Werk, keine Übersetzung, denn Goethes Reineke Fuchs hat Franko
den Anstoß dazu gegeben, sich in zwei Richtungen zu bewegen: Er kombiniert da-
rin wissenschaftliche Recherchen zur Genese und Entwicklung des literarischen
Stoffes mit eigenem Fabulieren. So wurde der vollständigen Ausgabe dieses Werks
eine wissenschaftlich fundierte Einführung vorangestellt. Die Ursprünge ortet
Franko in den vorchristlichen Zeiten – aus Babylon soll der Stoff über den Umweg
27 | Zit.n. Rydnycky, Leonid: Iwan Franko und die deutsche Literatur. München: Ukraini-
sches technisch-wirtschaftliches Institut 1974, S. 21.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur