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»Die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln.« 201
lativ breiten Raum einnimmt,36 scheint dies bei den von uns untersuchten Auto-
rinnen kein Thema zu sein. Die meisten ihrer Texte stellen kaum eine kritische
Auseinandersetzung mit der alltäglichen Realität dar. In Bezug auf die von den
Autorinnen vertretenen Werte sowie auf die Konstruktion ihrer Figuren lässt sich
eher eine starke Ausrichtung auf Unterhaltung im Sinne der Trivialliteratur be-
obachten, wobei sie v.a. dem kleinbürgerlichen literarischen Geschmack entgegen-
kommen. Ihre Protagonistinnen sind meist junge bürgerliche Frauen, niedlich
und anständig, teilweise naiv, aber nicht ungebildet. Dies trifft v.a. für die linear
aufgebauten, einfachen, mit schematisch konstruierten Figuren besetzten Theater-
stücke von Emma Seltenreich sowie für die Humoresken von Berta Katscher zu.
Viel radikaler in ihrer Ausdrucksweise war die in Preßburg geborene Marie Frisch-
auf-Pappenheim. Ihre ersten Gedichte schrieb sie bereits während der Studienzeit.
Vier von ihnen – Seziersaal, Trennung, Vor dem Konzert, Prima graviditas – wurden
unter ihrem Pseudonym Maria Heim von Karl Kraus in der Fackel veröffentlicht.37
Frischauf-Pappenheim kommentierte: »Ich habe als junge Medizinerin lyrische
Gedichte geschrieben. Ohne mein Wissen trug sie eine Kollegin zu [Karl] Kraus,
der sich sofort einige heraussuchte und veröffentlichte. Die übrigen brachte er zum
Verlag. Ich habe sie mir wiedergeholt.«38 Es ist relativ problematisch, Marie Frisch-
auf-Pappenheim einer literarischen Strömung oder Stilrichtung zuzuordnen. In
ihren ersten lyrischen Texten lassen sich expressionistische Züge festmachen. Oft
handelt es sich um subjektive Gedichte zum Thema Liebe, Tod oder die mensch-
liche Existenz. Besonders bemerkenswert ist das Gedicht Prima graviditas, in
dem das lyrische Ich alle seine Ängste, Zweifel und Widersprüche zum Ausdruck
bringt. In der direkten Adressierung des Publikums spürt man einerseits Selbst-
verachtung, andererseits Eigensinn, Brüskierung und Provokation. »Mit schweren
Schultern müßt ihr schreiten/Und müdem, unbewußtem Schritt./Als zögen ver-
lorne Dunkelheiten/Und Scham der Seele und Wollust mit.«39
Die für viele als unantastbar empfundene Zeit der Schwangerschaft wird von
der Lyrikerin völlig entmythisiert. Keineswegs überraschend erscheint das Thema
des Gedichtes im Hinblick auf die Tatsache, dass der weibliche Körper vor dem
Hintergrund der Formierung nationaler Denkmodelle und der Etablierung natio-
naler Staaten in der Moderne v.a. auf seine Gebärfunktion reduziert wurde. Die
Mutterschaft und Schwangerschaft wurden zum Politikum, wobei die männliche
36 | Vgl. Schmid-Bortenschlager, Sigrid: Frauenliteratur im 19. Jahrhundert – Ideologie,
Fiktion, Realität. Dargestellt am Beispiel der Thematik »Versorgungsehe«. In: Iwasaki, Eijiro
(Hg.): Begegnung mit dem »Fremden«. Grenzen, Traditionen, Vergleiche. München: Iudicium
1990, S. 246-250, hier S. 246.
37 | Heim, Maria [Marie Frischauf-Pappenheim]: Gedichte. In: Die Fackel 202 v. 30.4.1906,
S. 23-25.
38 | Frischauf, Marie: Zur Schönberg-Feier. »Ich wollte nicht als Lyrikerin durchs Leben
gehen«. Marie Frischauf erzählt von Karl Kraus und Arnold Schönberg. In: Der Abend v.
25.10.1949 [o.S.], zit.n. Patka, Marcus G.: Nachwort. Literatur versus Medizin – Marie Frisch-
auf, geborene Pappenheim. In: Pappenheim, Marie: Der graue Mann. Roman und Gedichte
für Arnold Schönberg. Hg. u. m. e. Nachwort v. Marcus G. Patka. Wien: Theodor Kramer Ge-
sellschaft 2000, S. 109-139, hier S. 111.
39 | Frischauf-Pappenheim, Marie: Prima graviditas. In: dies.: Der graue Mann, S. 88.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur