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»Die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln.« 205
So formuliert es die Autorin in dem 1929 erschienenen Buch Preßburger Interieurs,
mit dem sie versucht, »einen Ausschnitt aus dem Preßburger Kulturleben zu ge-
ben«.50 Ihre 23 bildhaften Aufzeichnungen und Kurzerzählungen, die die Preß-
burger Wohnungen malerisch skizzieren, fügen sich zu einem Ganzen zusammen
und bilden eine Collage besonderer Art. Die Skizzen der Preßburger Interieurs stel-
len keine einfache Wiedergabe des Konkreten dar. Mit ihren Sinnbildern, Sym-
bolen, Vergleichen und Assoziationen wirken sie in einer Intensität, die bis heute
beeindruckt. Die Sprache der Autorin verfügt über Melodie und Rhythmus, ist
wohltuend, duftend, substanziell. Die Preßburger Interieurs-Skizzen stellen eine Art
Medium dar, in dem Intimität, menschliche Nähe, aber auch das Allgemeingültige
in »Tradition und Moderne, das Milieu der Stadt und ihrer Interieurs eingebettet
sind«.51 Sie fangen die Atmosphäre nicht nur der Preßburger Bürger- und Patrizier-
wohnungen um und nach 1900, sondern auch jene der Stadt selbst ein:
A peculiarity of the city on the Danube was the so called Pressburger. In a few sentences they
could alternate Hungarian, German, and even Slovak. They were natives of Bratislava, of in-
definite nationality who were connected with the city by history, tradition, work, property, but
also by its beauty. Their love and devotion to the native city were without limits.52
Elsa Grailich, die Preßburgerin mit burgenländischen Wurzeln, empfindet dies in
den 1920er Jahren folgendermaßen:
[…] die Dinge reden im Lichte eine andere Sprache als im Dunkeln, bei Tag eine andere Spra-
che als bei Nacht oder im Dämmer des Zwielichts, wenn die Gegenwart mit Vergangenheit
und Zukunft in ein einziges Ganzes zusammenschmilzt, und ihre Geheimnisse offenbaren.
Und dann fühle ich die wunderbaren Kräfte, die aus jedem einzelnen Stücke auf mich ein-
strömen und die unzertrennbar sind von dem, was ich als mein »Ich« empfinde.
Das ist der Zauber des Heimes, das Mysterium eines jeden Interieurs, dessen Atmosphä-
re zusammengesetzt ist aus den feinen Schwingungen der Seelen, der Dinge und der Men-
schen, der Lebenden und der Toten […].53
Im Lichte der Methodenvielfalt, die wir in der Literaturwissenschaft in den letzten
Jahrzehnten beobachten können, bieten die Texte der deutschschreibenden Au-
torinnen aus dem Gebiet der heutigen Slovakei ein interessantes literaturwissen-
schaftliches Arbeitsfeld und Erfolg versprechende Perspektiven. Ihre literarischen
Texte stellen zumindest teilweise spezifische Formen kultureller Repräsentation
dar und demonstrieren die spezifischen Praktiken bestimmter sozialer Gruppen.
50 | Ebd., S. 6.
51 | Gáborová, Margita: Aus dem Interieur: Die literarischen Stadtbilder Elsa Grailichs zwi-
schen Tradition und Moderne. Die Stadt und ihre prägenden Persönlichkeiten. In: Košťálová,
Dagmar/Schütz, Erhard (Hg.): Großstadt werden! Metropole sein! Bratislava, Wien, Berlin
– Urbanitätsfantasien der Zwischenkriegszeit 1918–1938. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2012,
S. 113-128, hier S. 114.
52 | Babejová, Eleonóra: Fin-de-Siècle Preßburg. Conflict and Cultural Coexistence in Bra-
tislava 1897–1914. New York: Boulder 2003, S. 86; vgl. Csáky: Das Gedächtnis der Städte,
S. 306.
53 | Grailich: Preßburger Interieurs, S. 86.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur