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Alterität, Gender, Transdifferenz und Hybridität in Juliane Dérys Leben und Werk 239
ge Erziehung von Mädchen wie Josette, die in einem Zustand der »Verziehung zur
Weiblichkeit«81 als »eine kleine Schwärmerin«, »sehnsuchtsfroh und gefühlvoll,
ganz ätherisch«82 nicht imstande ist, sich von der Macht und Autorität der sozialen
Kontrollinstitutionen Kirche und Klatsch zu lösen. Es ist Ostern, und der kleinen,
naiven Josette wird von einem Missionaren, der sich in Granville aufhält, für ihren
Unglauben doch vergeben – allerdings nur, wenn sie bereit ist, schluchzend unter
dem Kruzifix ihrer Liebe für den »Turkoleutnant« zu entsagen. Die Kontaminie-
rungsgefahr wird dadurch aufgehoben. Der transdifferente Andere wird, auf sein
orientalisches Ich reduziert, in seine Schranken verwiesen und kann nach Jahren,
nun als französischer Oberst, seine inzwischen mit einem ›richtigen‹ Franzosen
verheiratete und von jedweder Rebellion geheilte Jugendliebe kurz wiedersehen.
5. schlussfolgerung und ausblicK
Nach Lösch fordert Transdifferenz
die Herausbildung eines Selbstverhältnisses der Person, die das dichotome Schema ›Selbst/
Anderer‹ überwindet […], das komplexe, widersprüchliche und spannungsreiche Verhältnis
von Eigenem und Anderem, entfremdetem Eigenem und angeeignetem Anderem im Selbst
aushält und nach Möglichkeit auch kreativ zu nutzen vermag.83
Obwohl Juliane Déry, wie aus meiner Analyse hervorgeht, Transdifferenz durchaus
kreativ umzusetzen imstande war, vermochte sie diese Widersprüche unter dem
Druck der »klebrigen« Bilder der stereotypen Alterität, in die sie als Ungarin und
Frau hineingezwängt wurde, im eigenen Leben nicht zu versöhnen. Dass diese
stereotypen Bilder sich auch im 21. Jahrhundert immer noch nicht gelöst haben,
wird auch daran ersichtlich, dass Déry vor kurzer Zeit noch eine »halbe Wiene-
rin« genannt wurde.84 Dérys Utopie der kulturellen Hybridität, in der Differenzen
aufgehoben werden, wird aus dieser Perspektive durchaus verständlich. Dadurch
kann der Selbstmord dieser faszinierenden Schriftstellerin, die gleichzeitig mehre-
re Kulturen und Identitäten für sich beanspruchen konnte, in einem neuen Licht
beleuchtet und verstanden werden. Dérys Selbstmord ausgerechnet an einem Kar-
freitag kann auch im Sinne einer kreativen Aufopferung der Transdifferenz und
Hybridität auf dem Altar der Intoleranz und der Vorurteile gelesen werden. So tra-
81 | Eine der ersten österreichischen Frauenrechtlerinnen, Irma von Troll-Borostyáni, kri-
tisierte, was sie »Verziehungsmethode« in der Erziehung von jungen Mädchen nannte. Troll-
Borostyáni war somit eine der Ersten, die in Österreich auf die soziale Konstruktion von
Geschlechtsmerkmalen wie Gehörigkeit und Unterwerfung als Teil des so genannten Weib-
lichkeitsideals aufmerksam machte. Vgl. Troll-Borostyáni, Irma von: Die Mission unseres
Jahrhunderts. Eine Studie über die Frauenfrage. Preßburg/Leipzig: Gustav Hackenast 1878.
Der Titel »›Verziehung‹« zur Weiblichkeit« wurde der folgenden Internetseite entlehnt: www.
salzburgmuseum.at/839.html (zuletzt eingesehen am 28.5.2015).
82 | Déry: Beichten, S. 1300.
83 | Lösch: Begriff und Phänomen der Transdifferenz, S. 34.
84 | Vgl. NN: Eine halbe Wienerin in Fortsetzungen. In: Wiener Zeitung v. 21.1.2011, S. 32
[Hervorh. d. Verf.].
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur