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Antagonismen und (Trans-)Differenzen 279
Dieses, andern Völkern und selbst Slaven unbekannte Phänomen hat natürlich seinen Grund
in der kroatischen Geschichte.43
Šenoas Versuch, eine gemeinsame und zukunftsgerichtete Verständigungsbasis
zu schaffen, ist die Dringlichkeit der nationalen Aufgabe abzulesen. Er leitet sie aus
dem politischen Kampf um die Vereinigung der zersplitterten kroatischen Länder
in der Habsburger Monarchie ab. Ausgehend von der Überzeugung, dass »jeder
politischen Aktion eine national-sociale Bewegung vorangeht«,44 plädiert er für das
organische Zusammenwachsen des Dreieinigen Königreiches Dalmatien, Kroa-
tien und Slavonien. Er beschreibt die Rückständigkeit der Nation, rekurriert damit
gleichzeitig auf die Tatsache, dass der Prozess der Nationsbildung weder eine be-
schlossene Sache noch eine einfache Angelegenheit war. Im Falle der kroatischen
Nationalidentität ist dieser Prozess fortwährend doppelt besetzt: Einerseits ist es
eine überwiegend nichtslavische Umgebung, innerhalb derer die Genese der natio-
nalen Identität im 19. Jahrhundert erfolgt, wobei Šenoa insbesondere die »venetia-
nische, Jahrhunderte lang dauernde Herrschaft« und die damit verbundene Lage
der »rechtlos[en]«45 südslavischen Bevölkerung in Dalmatien hervorhebt. Zweitens
hindert die Militärgrenze als eine besondere administrative Einheit das Zusam-
menwachsen der historischen kroatischen Gebiete und ihre Modernisierung.46
4. naTionale solidariTäT – gesamTslaVische und
naTionale KonzepTe
Die Situation der Bedrohung durch das Fremde überträgt er auch auf die ande-
ren südslavischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert. Exemplarisch beschreibt er
die Lage in Montenegro als eine prekäre Situation, in der »sich der wilde Osma-
ne und das tückische Venedig gegen Montenegro, dieses Asyl der südslavischen
Freiheit, verschwor«.47 In diesem Sinne berichtet Šenoa auch über die »jedes sla-
vische Herz erschütternde[n] Nachrichten über Bedrückungen in Bosnien«48 und
beschreibt die Leiden der unter »krasseste[r] Feudalherrschaft«49 lebenden Bevöl-
kerung. Damit wird nicht nur seine proklamierte slavische Ausrichtung bestätigt,
sondern auch jenes typische idealistische Engagement im ethischen Sinne der Be-
43 | Ebd.
44 | NN [August Šenoa]: Briefe aus Dalmatien. Zara, 9. Oktober. In: Slavische Blätter 13
(1865), S. 549-550, hier S. 549.
45 | Ebd.
46 | Zu fundierten historiografischen Einsichten über die Militärgrenze vgl. Kaser, Karl:
Freier Bauer und Soldat: Die Militarisierung der agrarischen Gesellschaft an der kroatisch-
slawonischen Militärgrenze (1535–1881). Wien/Köln/Weimar: Böhlau 1997, S. 353ff.
Kroatische Ausgabe: Kaser, Karl: Slobodan seljak i vojnik. Povojačenje agrarnog društva u
Hrvatsko-slavonskoj Vojnoj krajini (1535–1881.). Zagreb: Naprijed 1997, S. 130ff.
47 | NN [August Šenoa]: Briefe aus Montenegro I. Cetinje, 4/16. Mai. In: Slavische Blätter 5
(1865), S. 269-270, hier S. 269.
48 | * [August Šenoa]: Tagesgeschichte. In: Slavische Blätter 17 (1865), S. 677-678, hier
S. 677.
49 | NN [August Šenoa]: Tagesgeschichte. In: Slavische Blätter 3 (1866), S. 65.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur