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freiung des Menschlichen, das Frangeš als den »noblen Utilitarismus«50 Šenoas
beschreibt. Die Freiheit des »kleinen, staatenlosen und unfreien Volkes«51 kann
erst in einem Prozess der Aufklärung, Bewusstmachung und Mobilisierung ver-
wirklicht werden.
In seinem gesamtslavischen Konzept nutzt Šenoa in einer biografischen Skiz-
ze über Karl Kuzmány, einen »Patrioten«52 und Nachfolger Ján Kollárs und Pavel
Josef Šafařiks, die Gelegenheit, jene »untergeordnete[…]« und, damit es noch stär-
ker unterstrichen wird, auch »secundäre[…] Stellung« der slovakischen Nation zu
beschreiben, die immer noch unter den »Nachwehen des Feudalismus« leidet und
für das »neuerwachte Selbstbewusstsein der Slovaken« gegen die »Knechtschaft
ihres Volkes« ringt, um »fremde Vergewaltigung und feiles Renegatenthum zu be-
kämpfen«.53 Das ist der neue und unerhörte Ton des jungen Šenoa, mit dem das
Narrativ von der Notwendigkeit der nationalen Solidarität entwickelt wird. In allen
solchen biografischen Darstellungen scheint der Versuch, »für die Aufklärung ihrer
Nation«54 tätig zu sein, die zentrale Rolle zu spielen. Damit wird die Verschärfung
des Diskurses wettgemacht, und er bleibt dem imperialen Rahmen verpflichtet, da
er sich im Wesentlichen auf die vorhandene Plurikulturalität des monarchistischen
Raumes stützt, aus der er die nationalen und von einem freiheitlichen Impetus ge-
tragenen Ideale extrapoliert. Daraus geht eine Funktionalisierung der transnationa-
len und transregionalen Elemente hervor, die mit ihren Versatzstücken aus national-
pädagogischem Vorhaben und kulturellem Eifer Šenoas Stil auch in seiner späten
Phase prägt.
So wird ein enges Solidaritätsverhältnis zur nachbarlichen slavischen Umge-
bung »ineinander verschränkter Peripherien«55 hergestellt. Jedoch geht Šenoa von
einer Einteilung in zwei dominante Einflusssphären aus; nach ihm seien die Kroa-
ten die »Träger der abendländischen Sfäre […], während die Serben die orientale
bilden«.56 Daraus wird ersichtlich, dass sich die damalige intellektuelle Elite, die
Träger des Homogenisierungsprojektes, der instabilen Lage einer polyglotten, von
ungleichen Machtverhältnissen vernetzten Gemeinschaft bewusst war. Als einen
gemeinsamen Nenner aller konkurrierenden Programme kann man den Kampf
gegen Entfremdung infolge der Fremdherrschaft respektive gegen österreichische
und ungarische Hegemonie anführen. Als Teil einer zerrissenen und immer wie-
der von Konflikten geprägten Gesellschaft an der Peripherie verfolgt Šenoa in sei-
nen Beiträgen ein zweifaches Ziel: Es handelt sich nicht nur um kulturelle und
literarische Institutionalisierung, sondern v.a. um die Ausbildung eines nationalen
Bewusstseins oder die Bildung einer »nothwendige[n] Opposition in der Nation«,57
50 | Frangeš/Živančević: Povijest hrvatske književnosti, S. 354.
51 | Ebd., S. 245.
52 | L. [August Šenoa]: Karl Kuzmány. Biographie mit Portrait. In: Slavische Blätter 6 (1865),
S. 308-314, hier S. 314.
53 | Ebd., S. 308.
54 | -ý. [August Šenoa]: Alois Vojtĕch Šembera. Biographische Skizze mit Porträt. In: Slavi-
sche Blätter 8 (1865), S. 379-381, hier S. 379.
55 | Osterhammel, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhun-
derts. München: Beck 2007, S. 625.
56 | Šenoa: Graf Medo Pucić, S. 53.
57 | Šenoa: Peter von Preradović [I], S. 412.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur