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Versuche der Horizonterweiterung 301
Edith Konradts Urteil verliert aus den Augen, dass jede kritisch-objektive Betrach-
tung die Perspektive der Beobachtenden impliziert. Sie kommt in der Weiterfüh-
rung dieses Gedankens zu dem Schluss, dass es Meschendörfer weniger um einen
kulturellen Austausch als um die Wahrung der sächsischen Interessen gegangen
sei.25 Diese Diagnose scheint den Kontext der Jahrhundertwende außer Acht zu
lassen und zeitgenössische Erwartungen in die Vergangenheit zu projizieren, denn
in Zeiten nationaler Konkurrenz schlossen Austausch und eigenes Interesse ein-
ander kaum aus. Dennoch kann Konradts Feststellung über die Entwicklung der
Zeitschrift, die den Weg Meschendörfers als jenen vom Ästheten mit idealistischen
Zwecken zum Verfechter der siebenbürgischen Heimat bewertet,26 zugestimmt
werden. Sie bedarf zugleich der Ergänzung, dass der Herausgeber bereits vor der
Gründung der Zeitschrift von den nationalistischen Vorstellungen des Wilhelmi-
nischen Kaiserreichs geprägt war und die zusammenlebenden Nationalitäten mit
dem Bewusstsein des kulturell übergeordneten »Kolonisten« betrachtete. Zu dieser
Grundhaltung gesellte sich – wie bereits angemerkt – das Plädoyer gegen die säch-
sische Isolation im öffentlichen Leben und für die Zusammenarbeit mit Ungarn
und Rumänen. Die divergierenden Tendenzen mussten sich zwangsläufig in ambi-
valenten Konstruktionen des Wir und des Anderen niederschlagen.
2. liTerarische TexTe als medien der idenTiTäTs-
und alTeriTäTsKonsTruKTion
Die von Meschendörfer geforderte »über das rein Sächsische hinausgehende Ho-
rizonterweiterung«27 spiegelte sich auch in der Vielfalt literarischer Texte wider.
Die in der Zeitschrift veröffentlichte Lyrik umfasste ein breites Spektrum, in der
die Mundartdichtung eine marginale Stellung einnahm (Michael Königes, Joseph
Haltrich, Joseph Gabriel u.a.). Neben sächsischen (Ernst Kühlbrandt, Josef Marlin,
Hermann Tontsch usw.) und deutschen Autoren (Paul Heyse, Hermann Hesse,
Richard Dehmel, Gustav Falke, Detlev von Liliencron) waren zahlreiche Ungarn
vertreten, von Johannes Arany, Alexander Petőfi, Michael Vörösmarty, Emerich
Madách bis hin zu Ludwig Palágyi, Desiderius Kosztolányi, Julius Juhász, Josef
Kún oder Andreas Ady.28 Bloß im letzten Jahrgang fehlten die Übersetzungen
ungarischer Gedichte, stellvertretend stand jedoch Stefan Peteleis Prosa. Im Ver-
gleich dazu war die rumänische Dichtung nur punktuell, im zweiten, vierten und
sechsten Jahrgang der Zeitschrift, mit Autoren wie Michael Eminescu, Vasile Te-
conția oder Emil Grigorovița vertreten. Dieses sporadische Vorkommen lässt sich
einerseits auf die politische Konstellation zurückführen, da die ungarische Seite an
der Macht war, andererseits und damit eng verbunden gab es wesentlich weniger
Übersetzer und Übersetzerinnen aus dem Rumänischen.29
25 | Ebd., S. 179.
26 | Ebd., S. 206.
27 | Schuller: »Dann wirst als Tat durch die Jahre ragen«, S. 3.
28 | Für ein Inventar der veröffentlichten Dichter und ihrer Übersetzer s. Schullerus: Adolf
Meschendörfers Siebenbürgische Zeitschrift, S. 124-132. Die Namen werden in deutscher
Übersetzung (wie in der Zeitschrift angegebenen) gebraucht.
29 | Vgl. dazu auch ebd., S. 118-123.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur