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Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
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Enikő Dácz304 Die beiden hatten bis dahin aufmerksam zugehört, denn sie verstehen, wie fast jeder hiesige Rumäne und Zigeuner, gut sächsisch, reden es aber nur schwer, d.h. gezwungen. Die natio- nale Zähigkeit des Romanen! Der Sachse muß sich bequemen, mit dem Rumänen in dessen Sprache zu reden, auch wenn sie dieser, wie hier, ganz versteht, zum Teil auch sprechen kann. Allerdings hat dies auch einen anderen Grund: Der Sachse hält seine Sprache für zu hoch, zu vornehm, als daß er in ihr mit dem Rumänen verkehrt. Mit dem Ungarn schon eher. Denn dieser spricht das Sächsi- sche, wenn auch nicht ganz richtig, so doch mit einer gefälligen Betonung und Färbung aus, während ihm die gutturale Färbung und der Akzent des Rumänen ganz unbehaglich sind. Es ist also nicht nur nationale Schwäche, die den Sachsen bewegt, mit dem Rumänen lieber rumänisch als sächsisch zu sprechen.40 Von den Einzelfiguren der Erzählung ausgehend, kommt es gleich zur Generalisie- rung, sodass dem Rumänen seine »nationale Zähigkeit« ohne Milderungsumstän- de attestiert wird, während die Haltung des Sachsen ausführlich erklärt wird. Als Referenzpunkt werden sogar die Ungarn herangezogen, obwohl in den Erzählun- gen ungarische Figuren im Allgemeinen nur am Rande auftreten. Den rumänisch-nationalen Topos des Tschobans (Ciobans)41 vermittelte u.a. die Erzählung Das Hirtenbrot von Friedrich Reimesch,42 die die Geschichte eines rumänischen Viehhüters schildert, der von einem sächsischen Ehepaar zweimal das Hirtenbrot43 verlangt. Als der Bauer nicht erneut zahlen will und zu schimp- fen beginnt, nennt ihn der Cioban Lügner. Der erboste Bauer schlägt hierauf den Hirten so heftig, dass dieser zu Boden fällt. Obwohl jener wie tot aussieht, kommt er wieder zu sich und zieht aus der Geschichte seine Lehre. Eine analoge stereo- typisierende Figurenkategorisierung prägt auch Emil Wittings Aufzeichnungen Einsame Jagden in den Karpathen, in denen der Ich-Erzähler u.a. seine Begegnung mit einem rumänischen Hirten auf ironische Weise beschreibt, dem er nicht völlig traut und den er abstoßend findet: »Während der Erzählung kam mir der Cioban vertraut näher, doch mit ihm auch sein lieblicher Duft, und so sah ich, daß ich weiterkam.«44 Die Figur ist in analogen Prosastücken – wie generell in der rumä- nischen Literatur – mit der mioritischen Landschaft eng verbunden, die selbst ein räumliches Konstrukt darstellt und Bestandteil der rumänischen nationalen Identitäten ist.45 Zum mioritischen Raum, der am nachhaltigsten von Lucian Blaga geprägt wurde,46 gehört der naturnahe Mensch, der in Wittings Aufzeichnungen seine mythischen Züge verliert. Die archetypische Gestalt des Hirten wird durch den ironischen Unterton des zitierten Textes nicht als Urgestalt menschlichen Da- seins wahrgenommen. 40 | Plattner: Der Karfunkelstein, S. 70. 41 | Der Tschoban, d.h. der Hirte, gehört zu den zentralen Motiven der rumänischen Dich- tung dieser Zeit und steht symbolisch für das enge Verhältnis der Rumänen zur Natur. 42 | Reimesch, Friedrich: Das Hirtenbrot. In: Die Karpathen 20 (1910), S. 622-624. 43 | Das Hirtenbrot steht für den Lohn des Hirten. 44 | Witting, Emil: Einsame Jagden in den Karpathen. In: Die Karpathen 20 (1911), S. 637- 639, hier S. 637. 45 | Vgl. Plattner, Johann: Búlea. In: Die Karpathen 8 (1910), S. 227-236. 46 | Blaga, Lucian: Der mioritische Raum. In: ders.: Zum Wesen der rumänischen Volksseele. Übers. v. Julius Draser. București: Minerva, 1982, S. 42-63.
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Transdifferenz und Transkulturalität Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Titel
Transdifferenz und Transkulturalität
Untertitel
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Autoren
Alexandra Millner
Katalin Teller
Verlag
transcript Verlag
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-3248-8
Abmessungen
15.4 x 23.9 cm
Seiten
454
Schlagwörter
transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
Kategorie
Kunst und Kultur
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