Seite - 307 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Bild der Seite - 307 -
Text der Seite - 307 -
Versuche der Horizonterweiterung 307
derjenige, der die eigenen und rumänischen Bauern auszutricksen sucht.60 Die
soziale Dimension der Problematik drängt in diesem Falle die nationale in den
Hintergrund.
In einer Jagdgeschichte von Plattner verlieren die ethnischen Grenzen gänzlich
ihre Bedeutung, was auch sprachlich abgebildet wird, indem ungarische und ru-
mänische Wörter als Teil der eigenen Sprache erscheinen. Die Namen der Figuren,
die sonst als nationale Marker dienen, spiegeln dasselbe Prinzip wider: »Er hieß
zwar Nagy, war auch ein Ungar. Aber, weil er sächsisch redete wie ein Sachs, so
hießen ihn alle sächsischen Bauern Herr Groß, oder Gevatter Groß.«61 Oft wird die
Selbstverständlichkeit des Zusammenlebens durch das Ignorieren der Nationalität
der Figuren indirekt oder sprachlich signalisiert, in diesem Falle erscheinen die
unterschiedlichen Ethnien als integrierte Teile der Dorfgemeinde.62
Absolute soziale Außenseiter in der fiktionalen Welt der literarischen Texte sind
die Zigeuner,63 deren Schicksal in Otto Alschers Fortsetzungsroman Menschen der
Peripherie eingehend thematisiert wird.64 Das intensive Interesse des Autors am
Thema bezeugen auch weitere literarische Texte der Zeitschrift. In ihnen wird das
Leben am Rande der Gesellschaft geschildert, auch wenn die Figuren wohlbekann-
te Primas sind wie Pipás Béla: »Ohne seine Geige ist er nur der Zigeuner, sie aber
ist immer die Baronin … Auch gut!«65 Den Topos des Zigeuners als Exoten entfal-
tete Alscher auch am Beispiel der Figur eines Malers aus Wien, der ins Banat reist,
um dort Roma zu malen, weil er sie »interessant«66 findet. Der Künstler weigert
sich, schwäbische Mädchen als Modelle zu wählen, und vor die Wahl gestellt, ent-
scheidet er sich lieber für eine Rumänin, der aber keine Freizeit gewährt wird.
Rumänische und Zigeunerfiguren treten in den Erzählungen immer wieder ge-
meinsam auf, während Ungarn und Ungarinnen sowie Sachsen und Sächsinnen
in solchen Fällen kaum präsent sind.
Als Musterbeispiel kognitiver Schemata in dieser Hinsicht ist zuletzt die Para-
bel Der Zigeuner wollte reich werden von Hans Ungar zu nennen, in der ein Rom,
60 | Vgl. Ungar, Hans: Der Pfiffige. In: Die Karpathen 10 (1912), S. 297-299.
61 | Plattner, Johann: Eine Rebhendeltokana nach der Jagd. In: Die Karpathen 11 (1912),
S. 329-336, hier S. 330.
62 | Vgl. z.B. Alscher, Else: Gipfelsturz. In: Die Karpathen 7 (1912), S. 197-200; Bíró, Lud-
wig: Der Gute und der schlechte Mensch. In: Die Karpathen 11 (1912), S. 323-325.
63 | Es wird diese Bezeichnung gebraucht, weil sie in den Texten vorkommt und im osteuro-
päischen Kontext – selbst von Fachleuten und Betroffenen – oft parallel zu ›Roma‹ verwendet
wird. Zur literarischen Figur des Zigeuners und der Zigeunerin vgl. u.a. Patrut, Iulia-Karin:
Phantasma Nation. ›Zigeuner‹ und Juden als Grenzfiguren des ›Deutschen‹ 1770–1920.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2014; Uerlings, Herbert/Patrut, Iulia-Karin (Hg.): ›Zi-
geuner‹ und Nation. Repräsentation – Inklusion – Exklusion. Frankfurt a.M.: Peter Lang 2008;
Brittnacher, Hans Richard: Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbil-
des in Literatur und Kunst. Göttingen: Wallstein 2012.
64 | Vgl. Alscher, Otto: Menschen der Peripherie [I]. In: Die Karpathen 2 (1908), S. 34-39;
die Fortsetzungen wurden bis zum ersten Septemberheft 1909 veröffentlicht.
65 | Alscher, Otto: Er fährt heim. In: Die Karpathen 2 (1912), S. 35-38, hier S. 35.
66 | Alscher, Otto: Der interessante Gast. In: Die Karpathen 9 (1913), S. 263-268, hier
S. 266.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur