Seite - 312 - in Transdifferenz und Transkulturalität - Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
Bild der Seite - 312 -
Text der Seite - 312 -
Enikő
Dácz312
Flusse, Sie verzeihen mir das banale Wort Zeitenkampf. Wir Sachsen besonders im
Rassenkampf! Wir stehen mitten in einer trägen Masse, mitten zwischen fremden
Seelen, mitten im Sprachenwirrsal und leider im Kampf ums Dasein […].«89
Dieser Kampf wird in einem veröffentlichten Vortrag in Anlehnung an das Goe-
the’sche Zitat »Verdrängen oder sich verdrängen lassen, das ist des Lebens Kern«90
noch tiefergehend erläutert. Ein trübes Bild zeichnet der Referent vom Streben,
›das sächsische Siebenbürgen‹ zu bewahren.91 Das Volk und seine Führer seien
dem Kampf nicht gewachsen, während die Rumänen durch ihre Anspruchslosig-
keit einen großen Vorteil hätten, so Heinrich Siegmund. Das Volksbewusstsein
müsse gestärkt werden; Aufgabe der sächsischen Wissenschaft sei es, den sächsi-
schen Raumsinn zu erwecken, zu stärken und zu erhalten.92
Bei der Kritik an der eigenen sächsischen Gesellschaft kommt der Stimme des
»unverbesserlichen Nörglers«93 – d.h. des Herausgebers – ein bedeutender Anteil
zu, wobei er den Stereotypen als kognitiven Abkürzungen bei der Beschreibung
der Charaktere auch nicht gänzlich entgeht. Der Ironie nicht entbehrend wird der
Kampf des Nörglers um den Einzug der Moderne auch einer gegen die sächsische
Isolation:
Sehen Sie, bis vor fünf, sechs Jahren lebten wir in unserer schönen Heimat wie hinter einer
dicken Mauer, ungestört, ruhig und zufrieden. Das Alter lenkte die Jugend und die Jugend
ahmte das Alter nach. So ging alles seinen schönen Gang. Hörten wir zuweilen, daß in
Deutschland eine sogenannte moderne Richtung in Literatur und Kunst erbitterte Kämpfe
hervorrief, so schlugen wir uns an unsere sächsische Brust und dankten dem Schöpfer, daß
er die Karpathen (die Berge nämlich, nicht diese elenden blauen Hefte) so gut dick und hoch
gemacht hatte.94
Trotz des Selbstbildes als »Kulturträgers« im Osten95 werden die Trinksitten eben-
so getadelt wie die Relevanz der verwandtschaftlichen Beziehungen, ohne die ein
89 | Hajek, Egon: Die Persönlichkeitskultur von heute und wir. In: Die Karpathen 3 (1913),
S. 87-93, hier S. 88. Der Vortrag wurde bei der Eröffnungsfeier der Modernen Bücherei am
25. Oktober 1913 in Kronstadt gehalten und spiegelt ein gängiges Geschichtsbild wider.
90 | Siegmund, Heinrich: Vernichtung und Verdrängung im Lebenskampf des sächsischen
Volkes. Vortrag gehalten in der Hauptversammlung des »Vereins für siebenbürgische Lan-
deskunde« am 23. August 1912 in Mediasch. In: Die Karpathen 6 (1912), S. 167-182, hier
S. 167.
91 | Vgl. ebd., S. 170.
92 | Vgl. ebd., S. 181.
93 | NN [Adolf Meschendörfer]: Ansichten und Meinungen eines unverbesserlichen Nörg-
lers. In: Die Karpathen 5 (1907), S. 144-146; Artikel unter dem gleichen Titel wurden immer
wieder von Meschendörfer publiziert, s.u.
94 | NN [Adolf Meschendörfer]: Ansichten und Meinungen eines unverbesserlichen Nörg-
lers. In: Die Karpathen 6 (1907), S. 183-186, hier S. 184.
95 | Morres, M.: Ein Kulturhindernis. Beitrag zur sächsischen Kulturpolitik. In: Die Karpat-
hen 11 (1911), S. 346-350, hier S. 346.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur