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Zwischen Kulturen und Identitäten 333
Narrheit, sie sollten wissen, daß ich doch nicht-heirathe, absolut nicht heirathe! Ich habe
mir den Geschmack an den Weibern verdorben! Oh, dieses ewige Lächeln, holde Erhörung
verheißend! Jede – jede sagt: Ja und Amen! gleichviel, ob ich den Antrag mache oder einer
der anderen – wenn’s halt nur ein Mann ist, der heirathen kann! Heut zu Tage holt sich kein
Sterblicher einen Korb mehr, und wenn er aussähe wie ein Pavian und so viel Geist besäße
wie ein Brunnenesel! Er ist ja nur das Mittel zum Zweck. Ich gehöre nicht zu diesen Narren –
ich heirathe nicht!25
Wenn auch das Postulat der Erneuerung und Veränderung selten im Zentrum der
Beiträge in der Bukowinaer Post steht, so geht die präsentierte Geschlechterpolarität
doch über eine schematische Darstellung hinaus und lässt einen fortschrittlichen
Gedanken durchblicken: nämlich dass die Änderung der Rollen und die Ansprü-
che auf eine Lockerung der sexuellen Normen nicht mit Sittenverfall in Verbin-
dung gebracht werden. Dies beweist auch das folgende Beispiel:
Sie schrie nach ihm in kummerschwarzer Nacht,
Er hat, ob’s schicklich sei, bedacht.
Sie hat am hellen Tag ihn angefleht,
Er sah ringsum, ob sie kein Blick erspäht.
Mit Macht stieg ihrer Sorgen bitt’re Pein,
Er dachte über sie – sie blieb allein.
Und als sie griff nach fremder Hilfe dann,
Beweint er ihre Untreu – treuer Mann!26
So ist es kein Zufall, dass vor der Folie der sozialen und kulturellen Gegebenheiten
und Prozesse des bukowiner Milieus das Periodikum täglich erfahrbare Frauenbil-
der und Rollenmodelle freilegt und dadurch ein klares Bild von einer befreienden
Entwicklung der Frauenentwürfe verbreitet.27 Den Spagat zwischen traditionellen
Weiblichkeitsbildern28 und dem Aufruf, sich den Aufgaben und Realitäten der
25 | Eschstruth, Nataly von: »Nur nicht heirathen!« Sylvesterhumoreske [I]. In: Bukowinaer
Post v. 1.1.1899, S. 1-2, hier S. 1.
26 | Bibus, Ottilie: Ein treuer Mann. In: Bukowinaer Post v. 9.7.1899, S. 1.
27 | Vgl. z.B. Oppen, Ida [Ida Oppenheimer]: Allerseelen. Skizze. In: Bukowinaer Post v.
31.10.1909, S. 1-4, hier S. 1: »Sie hatten sich gezankt. […] Es war zuviel gewesen – sie wollte
nicht wieder hinein dort in das Elend, wo nichts ihrer wartete als die ewigen kleinlichen Sor-
gen und Widerwärtigkeiten eines engen, kümmerlichen Daseins. Sie wollte fort, alle Brücken
hinter sich abbrechen – in den Tod, ins Verderben, gleichviel wohin – nur hinaus aus dieser
alltäglichen Enge, die sie zu ersticken drohte.«
28 | Vgl. Suttner, Bertha von: Fringilla [II]. In: Bukowinaer Post v. 20.3.1894, S. 1-2, hier
S. 1: »Wenn Frauen das Wort ›Lebensglück‹ in den Mund oder in die Feder nehmen, so ist
das Standesamt gemeint.« Der Text, der in Form eines Fortsetzungsfeuilletons abgedruckt
wurde, wurde dem Band Suttners Phantasien über den Gotha entnommen.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur