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Cristina
Spinei338
versuche innerhalb der männlichen Kultur und als Befreiungsschritte daraus«40 zu
lesen seien, weisen die angeführten Beispiele darauf hin, dass sich innerhalb des
Spektrums von traditionellen bis modernen Weiblichkeitskonzepten im Wesent-
lichen drei Schwerpunktsetzungen abzeichnen: Erstens herrschen eine Hinwen-
dung zu traditionellen Rollen und der (misslungene) Versuch vor, den herrschen-
den/männlichen Herausforderungen der Gegenwart gewachsen zu sein; zweitens
gibt es das Bemühen, sich diese neuen sozialen Prämissen anzueignen; und drit-
tens gibt es das Ziel, einen eigenen Zugang dazu zu finden, um zur Unabhängig-
keit zu gelangen. Während die Bukowinaer Post und das Czernowitzer Morgenblatt
zwischen den ersten beiden Momenten oszillieren, versuchen die Czernowitzer All-
gemeine Zeitung und das Vorwärts ein beinahe progressives Frauenbild zu zeigen.
Es ist kein Zufall, dass diese Blätter gerade in Czernowitz herausgegeben wur-
den, denn sie zeugen von einer reichen Palette an ideologischen Orientierungen, die
wiederum als paradigmatisch für die komplexe, von vielfachen Verflechtungen und
Vernetzungen, aber auch Differenzen und Widersprüchen geprägten Czernowitzer
Lebenswelt galten. In diesem Zusammenhang gilt es noch einmal festzuhalten,
dass diese Periodika eine eher sozial als national determinierte Leserschaft anvi-
sierten, die an deutschsprachiger Literatur und gesellschaftspolitischen Diskursen
interessiert war, der zudem unterschiedliche politische Ansichten sowie vielseitige
kulturelle Interessen zugesprochen wurden und die letztens eine Abwendung von
Schematisierungen und vereinfachenden Polaritäten (nationalistisch-/linksorien-
tiert/liberal; deutschnational/jüdisch; Anhänger der Unterhaltungsliteratur/mo-
dernen Literatur/traditionell-konservativen Literatur usw.) bekundete. Es ist daher
anzunehmen, dass trotz divergenter politischer Orientierung die Trennungslinien
zwischen den sozialen, kulturellen, professionellen, konfessionellen Kategorien,
denen die Leserschaft jeweils zugehörte, ›fließend‹ und dynamisch waren, so dass
diese sich gleichzeitig in zwei oder mehreren ›zu Hause fühlten‹. Daraus folgt,
dass ein sich kontinuierlich verändernder soziokultureller Kontext als auch zwei-
felsohne die dort entstandenen Periodika als Sammelbecken für die konkrete und
metaphorische Polyphonie des Ortes die gleiche Ambivalenz und Mehrdeutigkeit
transportierten. Die Eingangsfrage, inwiefern sich Spielräume weiblichen Schrei-
bens vermessen lassen können, lässt sich gerade vor diesem Hintergrund beant-
worten: Ein komplexes System inhärenter multipler Identitätskonstruktionen hat
ambivalente Wahrnehmungsmuster zur Folge, die in den literarischen Beiträgen
sichtbar werden. Dennoch lässt sich bei den behandelten Blättern eine unleugbare
Entwicklung ausmachen, die eine Antwort nahelegt: Als Vehikel der Identitätsver-
gewisserung und Folie für die sozialen Strömungen der Zeit wird in den bukowi-
ner Periodika dem traditionellen Weiblichkeitsbild eine Absage erteilt.
40 | Weigel, Sigrid: Der schielende Blick. Thesen zur Geschichte weiblicher Schreibpraxis.
In: dies./Stephan, Inge (Hg.): Die verborgene Frau. Sechs Beiträge zu einer feministischen
Literaturwissenschaft. Berlin: Argument 1983, S. 88-137, hier S. 104.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur