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Amália
Kerekes344
nach frauenspezifischen Interessen hinter sich ließen, indem sie dem weitgehend
anonymisierten Tagesjournalismus nachgingen. Die äußerst vagen Spekulationen
über die Quantität und den sozialen Hintergrund der Pionierinnen des Fachs so-
wie die Unmöglichkeit einer gar bruchstückhaften Kollektivbiografie rühren dabei
nicht nur von der Anonymität und dem zweifelhaften Renommee der Presse, wo-
durch sich die Frauen bei den auf eigenen Angaben beruhenden Datenerhebungen
als Schriftstellerinnen definierten,3 sondern resultieren auch aus dem generellen
Problem der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der journalistischen Individualität im
Funktionszusammenhang der Blätter. In der konservativen Lesart hieß es etwa
im offenen Brief einer Journalistin an einen Zeitungsredakteur von 1896: »Die
heutige Zeit erfordert keine Heldinnen im kämpferischen Sinne des Wortes wie
anno 48; keine in ungarische Tracht gekleideten, den Verfolgten Asyl gewähren-
den Patriotinnen wie die 60er Jahre. In den heutigen friedlichen Zeiten wären
diese amazonenhaften Allüren lächerlich, die Patriotinnenphrasen würden nur
ein Schmunzeln entlocken.«4 Als idealer Aufgabenbereich der Journalistinnen
schwebt ihr in den Zeiten der Konsolidierung die Feinabstimmung der Moderni-
sierung, ein bildungsbürgerliches Gegengewicht zur kapitalistischen Arbeitswelt
vor, nahezu eine frühe Fassung von Odo Marquards Kompensationsmodell, das die
lebensweltlichen Verluste ausgleichen soll.5 Die High-Tech-Varianten dieser Idee
in den liberalen Blättern folgen einer analogen Argumentation, ebenfalls vor dem
Hintergrund der vorhandenen Systemlogik der Presse, und erhoffen von den Jour-
nalistinnen die Steigerung der Wahrnehmungs- und Produktionsintensität des
Journalismus. Es wird ihnen kein neuer oder eigener Spielraum im System zuge-
wiesen, ihr Potenzial gibt sich vielmehr in der Perfektionierung bewährter Muster
zu erkennen. Ein parodistisches Porträt des Journalistenfräuleins von 1915 entwirft
dieses Dependenzverhältnis wie folgt: »Das Metier beinhaltet nahezu alles, was die
Frauen gern haben. Überall dabei sein, jeden Tag auftreten, an allem teilnehmen,
zu allem eine Meinung abgeben, für die Frauen ist es wohl ein wahrhaft idealer Zu-
stand. [… A]ls hätte Gott die journalistische Laufbahn für die Frauen geschaffen.«6
Diese Befunde zur Selbstbeobachtung des Systems Presse, und solche Rück-
bezüge des quasi soziologisch typologisierenden Zugriffs auf die Wirklichkeit fin-
3 | Zu den Möglichkeiten eines prosopografischen Zugangs am Beispiel der deutschspra-
chigen Presse vgl. Kinnebrock, Susanne: Journalismus als Frauenberuf anno 1900. Eine
quantitativ inhaltsanalytische sowie quellenkritische Auswertung des biografischen Lexi-
kons »Frauen der Feder«. In: Research Notes des Rates für Sozial- und Wirtschaftsdaten 21
(2008), S. 2-22, www.ratswd.de/download/workingpapers2008/26_08.pdf (zuletzt einge-
sehen am 3.5.2015).
4 | Geőcze, Sarolta: Egy kis programm [Ein kleines Programm]. In: dies.: Tanulmányok a ma-
gyar társadalom életéből. Budapest: Singer és Wolfner 1896, S. 119-127, hier S. 123; s.
auch www.fszek.hu/mtda/Geocze-Tanulmanyok.pdf [wenn nicht anders angegeben, Übers.
d. Verf.].
5 | Marquard, Odo: Kompensation – Überlegungen zu einer Verlaufsfigur geschichtlicher
Prozesse. In: ders.: Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische Überlegungen. München:
Fink 2003, S. 64-81, hier S. 76f; s. auch http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/ob
ject/display/bsb00041307_00001.html (zuletzt eingesehen am 12.8.2015).
6 | Vulpes [Kálnoki, Izidor]: Újságíró-iskola (1915) [Journalistenschule]. Szeged: Maxim
2003, S. 102.
Transdifferenz und Transkulturalität
Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Titel
- Transdifferenz und Transkulturalität
- Untertitel
- Migration und Alterität in den Literaturen und Kulturen Österreich-Ungarns
- Autoren
- Alexandra Millner
- Katalin Teller
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3248-8
- Abmessungen
- 15.4 x 23.9 cm
- Seiten
- 454
- Schlagwörter
- transdifference, transculturality, alterity, migration, literary and cultural studies, Austria-Hungary, Transdifferenz, Transkulturalität, Alterität, Migration, Literatur- und Kulturwissenschaften, Österreich-Ungarn
- Kategorie
- Kunst und Kultur