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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
3 Das literarischeQualitätsurteil
NebenderKommunikationsubjektiverLektüreeindrückeunddergemeinsamen
„Arbeit“ anmöglichen interpretativen Zugängen ist ein Bestandteil von Lese-
kreisdiskussionen der Versuch, den Wert literarischer Texte einzuschätzen.
Dafür bedarf es nicht nur einesMaßes an Leseerfahrung und dasWissen um
geteilteWerte des Feldes, sondern auchder Fähigkeit, denEindruck zu verba-
lisieren.
AuchwenngruppenspezifischeErwartungenanLiteratur erkennbar sind, ist
die Zuschreibung literarischer Qualität stärker als der subjektive Lektüreein-
druck an die Vorstellung von (verallgemeinerbarem)Wissen und Kompetenz
gebunden; über diese – dessen ist man sich bewusst – verfügt nicht jeder in
gleichemAusmaß. LiterarischeQualität wird überwiegendmit demKriterium
Sprache/Formargumentiert,wobeiAussagenüber ästhetischeAspekteweniger
mit Schilderungen des eigenen Leseprozesses verknüpft sind,54 dafür zu jenen
Punkten gehören, die aus der Literaturberichterstattung aufgegriffen werden
(siehe auch Punkt 1). Aussagen wie „das ist hochliterarisch“, „große Kunst“
werden häufig durch ExpertInnenmeinung abgesichert. Auch die einschlägig
vorgebildetenMitgliederwerdeninihrerliteraturwissenschaftlichenKompetenz
dort bestätigt, wo es um Erzähltheorie und Form geht. Mit der rhetorischen
Formel der ‚Empfehlung‘markiert man eherWertungen, von denenman an-
nimmt, dass sieMaßstäben undKriterien entsprechen, dieman für intersub-
jektiv richtighält.
WiederkehrendeDiskussionenum „literarischeQualität“bzw. alsGegenpol
„Schund“oder „Kitsch“55 zeigen jedoch,dassdasWissenumeine „Regel“oder
„Kriterien“nicht genügt.DieVersuche, „Schund“mittels einerDefinitionoder
explizit aufzählbarenCharakteristika („überschwängliche Eigenschaftswörter“,
einzelne Wortwahl „schmachten“,…)56 zu fassen oder im Gegenteil auszu-
schließen (ein „aufwändiger“ Text, „Sprache kompliziert“, …)57 scheitern
durchwegs;diesinnvolleAnwendungdieserKriterienistpraktischesWissenund
vonFallzuFallunterschiedlich.DieFähigkeit,zwischenexplizitenStandardsund
kompetenter Performanz zu unterscheiden, gilt als Indiz für die eigene Beur-
teilungskompetenz ineinemPraxisfeld.
54 ZudemBefund siehe auchSwann/Allington 2009. LiterarischeBewertung ist nicht zwin-
gend anLektüre gebunden, auch Passagen, in denen es umAuswahl der Bücher geht oder
Bücher,diemannicht (alle)gelesenhat, sindsehrwertend(sieheauchMoserD.,„Buchaus-
wahl“, indiesemBand,S. 53f.).
55 G3widmet sichbei jedemTreffenausführlichdieserDebatte,G1bei zweivonsechsTreffen
undG2nie.
56 B5 inG3/D2,Z. 728.
57 G3/D2,Z. 1823–1829.
LesekreisealsOrtedesWissens 79
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher