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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
EineMöglichkeit, literarischeLeistungeneinzuordnen, besteht imErkennen
bzw.Erzeugen intertextuellerBezüge.Verknüpfungen zwischenTextenherstel-
lenzukönnen,hängtmitderMengeundQualitätderLektüre-Erfahrungenund
der Fähigkeit zuAnalogiebildung zusammen,wobei einerseits nicht alleKrite-
rien fürÄhnlichkeit undDifferenz explizierbar sindund andererseits dieWie-
dergabe vonWissen nicht unbedingt auf eine gekonnte Anwendung schließen
lässt.
DerVerweis auf andereTexte dient Lesekreismitgliedern auchdazu, den ei-
genenLektüreeindruck zukontextualisieren, dadurch abzustützenundWissen
zu zeigen (über andere Bücher der AutorInnen, andere Bücher zum Thema,
Genre,…).Wie in der professionellenKritik sind intertextuelle Verweise eine
Möglichkeit, die eigene Belesenheit auszustellen. Dementsprechend häufig
werden kanonisierte AutorInnen wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek oder
Edgar Ellen Poe genannt, die als Bezugsgrößen, und hier erneut oft über das
KriteriumSprache,unangetastetbleiben:„Ja,derPoeistnatürlichnichtwirklich
vergleichbar“58.
DasAngebot eines Intertexts zur Interpretation kann allerdings auch schei-
tern: EinMitglied, das „bekennt“, auch Science-Fiction-Unterhaltungsliteratur
zu lesen, und eine konkreteDiskussionmit diesemWissenbereichernkönnte,
erhält durchdas vorherrschende „regimeof competence“ zuwenig Stimme; es
gibt in jenerGruppewenigOffenheit fürLiteratur,dieman„niedriger“einstuft,
und mehrere Szenen, in denen diese Leserin Ausführungen abbricht. Diese
Lektüreerfahrungen und Wissensbestände bleiben oder verlagern sich dann
tendenziell in den individuellenRaum. Praxisgemeinschaften ermöglichen die
Produktion von Bedeutung für bestimmte Erfahrungen undHandlungen, zu-
gleich halten sie die Mitglieder innerhalb eines bestimmten normativ legiti-
miertenErfahrungshorizontes.
4 GeteilteLerngeschichten
Lesekreismitglieder haben an verschiedenen Praxisgemeinschaften teil, Denk-
stile vermengen sich; es gibtGrenzen zwischenPraxisgemeinschaften, zugleich
sindmancheMitglieder in der Lage, Brücken zu bilden, indem sie Elemente,
Diskurse, Handlungsweisen in andere Kontexte übersetzen und übertragen.
GrenzüberschreitungenergebensichauchdurchperipherePartizipationen.Eine
58 „Bw2: //Ja, derPoe istnatürlichnichtwirklichvergleichbar.//
Bw6: //(unv.)//
Bw1:Unddaskannmannichtwirklichvergleichen.Nein,weil derhatdas/
dieses/ //diesesUnheimliche schonganzanders/ //
Bw4: //(unv.) vonderSprache/ //“ (G3/D1,Z. 521–524)
ClaudiaDürr80
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher