Seite - 93 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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© 2021 V&R unipress, Brill Deutschland GmbH
ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
[…] schwer imMagen“ (G2/D1/B1, Z. 693), wirkt „erschütternd“ (G2/D6/B7,
Z.1052),„ekelhaft“(G1/D3/Bw1,Z.558),„grausig“(G1/D3/Bw4,Z.990)oderruft
einGefühldesGewürgt-Seinshervor (vgl.G1/D4/Bm1,Z. 616).
2.2 Parallelen,Mischformen,Streitpunkte
Pointiert formuliert:GuteLiteraturkannzudemParadoxführen,dassgemocht
oder geschätzt wird, was betroffenmacht oder abstößt. Dementsprechend be-
richtet einLesegruppenmitglieddavon,dass siedas„zutiefst traurigeBuch“mit
großer Freude gelesenhabe (vgl. G1/D6/Bw6, Z. 186–206).Wie bei jedemText,
aber in einem spezifischen Ausmaß (Stichwort Sprachkunst oder literarische
Teilautonomie)gibteseindoppeltesAngebot:die inhaltlicheundvorallemauch
die formal-sprachlicheEbene. Letztere (das ist „angenehmgeschrieben“) bietet
sich als Ausweg an, wenn das Thema „empört“ (G1/D4/Bm1, Z. 349) oder die
Figur „irgendwie komisch“ erscheint, während „er das halt so toll geschrieben
hat, […] dass sogar ich das nachvollziehen kann“ (G1/D2/Bm1, Z. 840ff.). In
einer anderenGruppeberichtet eineTeilnehmerin, dass sie „geswitcht“ ist, um
das Buch positiv bewerten zu können. Die Leichtigkeit undHeiterkeit, die sie
bereits inderLiebesgeschichteerwartethätte,habesie letztlichdochnochinder
sprachlichenunderzählendenFormgefunden(vgl.G2/D6/B3,Z.325–333).Auch
kann es vorkommen, dass ein angenehmes Buch, das „irgendwie beruhigend“
wirkt(G3/D6/B1,Z.1871),einemanderenGruppenmitgliedkeinesfallszusagt,da
dieses ein anderes Konzept von Freude am Lesen verfolgt: „Aber das ist das
Schlimmste, wasmanüber ein Buch sagen kann.“ (G3/D6/B5, Z. 1877) In den
GruppentreffenunterschiedlicheErwartungenanspannendeundentspannende
sowie gelungene und misslungene Texte aufeinander, und das macht Lese-
gruppendiskussionenpersespannendundunterhaltsam.7Darüberhinausführt
nicht jedeDiskussion zu einer Auflösung des Konflikts, etwa, wennman sich
nichtdarübereinigenkann,obdievermeintlicheMelancholieeinesBuchesstört
(vgl.G2/D3/B1,Z.328)undalsbedrückend(vgl.G2/D3/B1,Z.378)oder„zueng“
(G2/D3/B1, Z. 385) wahrgenommen werden muss oder ob sie nicht auch als
„schwebende Leichtigkeit“ (G2/D3/B3, Z. 388) aufgefasst werden kann, die
„richtig angenehmzu lesen“ sei (G2/D3/B9,Z. 307).DemGruppenmitglied,das
mit dem diskutierten Buch auf dieseWeise hadert, bleibt in diesem Fall der
Switchverwehrt,„obwohlsie[dieAutorin]einewunderschöneSprachehat“(G2/
D3/B1,Z.1441).Dasmagdamitzusammenhängen,dassdieDebatte imRahmen
jener Gruppe stattfindet, die sich in erster Linie für zwischenmenschliche Be-
lange interessiert. Man konzentriert sich auf die inhaltliche Ebene von Lese-
7 SiehedazuAusführlicheresweiterunten, S. 97ff.
„Ich lachenichtüberdich, aberesklingt so lustig.“ 93
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher