Seite - 186 - in Über Bücher reden - Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
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ISBN Print: 9783847113232 – ISBN E-Lib: 9783737013239
lerischenElite dieAnerkennung verwehrtwordenwar: „Die literarischeKritik,
dieindeutschenZeitungenundZeitschriftenausgeübtwird,hatwederdurchden
GradihrerErziehungnochdurchdenihrerEinsichtendengemeinstenAnspruch
auf Achtung“14 – so zitiert Hohendahl aus Rudolf BorchardtsRede über Hof-
mannsthal, umdie gereizte Desavouierung der Elite angesichts des professio-
nalisiertenRezensionswesens jenerZeit vorzuführen.15
Auchwenn es legitim erscheint, zwei Phasenmiteinander zu vergleichen, in
denen es zu großenMedienumbrüchen kam, gilt es hier doch, einen funda-
mentalen Unterschied hervorzuheben. Während der von Hohendahl zitierte
UnmutBorchardts vermutlich eher einer narzisstischenKränkung zuzuschrei-
ben ist als der Angst vor Konkurrenz mit konkreten marktwirtschaftlichen
Folgen, stellt sich die Situation im Zeitalter der digitalen Medien geradezu
spiegelverkehrt dar:Hier handelt es sichnichtmehrumeinenReputationsver-
lust, den die Literaturkritik angesichts der feindlichenÜbernahme des Feldes
durchNo-Names erleidenmuss, die ihreAufgabenichtmehr indenDienst von
BildungundKunst, sondernvonVerlagenundBuchmarkt stellen–hiergehtes
umdieUnterwanderung einesMarktes durchGratis-Angebote, die in direkter
ökonomischer Konkurrenz zur professionellen Literaturkritik stehen. Diese
wehrt sich dagegen aus nachvollziehbarenGründen – ähnlichwie in derUm-
bruchsphaseEndedes19.Jahrhunderts–mitVerweisaufdieeigeneKompetenz.
MangelanBildung,Schreib-undUrteilskompetenzundvorallemAbhängigkeit
vomMarktsinddieamhäufigstenvorgebrachtenVorwürfeundArgumente,die
gegendieLaienkritik inimmerwiederundimmernochaufbrandendenDebatten
in Print- und Online-Medien vorgebracht werden. Eine breitere öffentliche
Wahrnehmung des Phänomens der Laienkritik begann einerseitsmit dem er-
folgreichenEinsatzvonKundenbewertungendurchden1995gestartetenOnline-
(Buch)händlerAmazon,demErfolgvonLeserforen,wiedasvonderHoltzbrinck-
Verlagsgruppe2007gestarteteProjektLovelyBooksunddiePlattformGoodreads,
dieaufgrund ihresErfolgs2013vonAmazongekauftwordenwar,undnatürlich
auchmitderExpansionderBlogs, die vor allemdurchdie seit 2003vonWord-
PressundGoogle,mitblogspot.com, angebotenen freienWeblog-Anwendungen
einen enormenZuwachs erreichten. InderwissenschaftlichenBetrachtungdes
Phänomens hielt sich für längere Zeit –wie Thomas Ernst es noch 2015 for-
muliert – eine „recht eingeschränkte[n] und skeptische[n] Perspektive“ der
Online-Literaturkritik gegenüber.16Er selbst schlägt vor, diemethodisch nicht
mehrhaltbareUnterscheidungExpertevs.LaieaufzugebenundmitBegriffenzu
arbeiten, die dem in den sozialenMedien beobachtbaren Rollenwechsel vom
14 Ebd., S. 41.
15 Vgl. ebd.
16 Ernst2015, S. 101.
RenateGiacomuzzi186
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Über Bücher reden
Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Titel
- Über Bücher reden
- Untertitel
- Literaturrezeption in Lesegemeinschaften
- Autor
- Doris Moser
- Herausgeber
- Claudia Dürr
- Verlag
- V&R unipress
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1323-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 262
- Kategorie
- Lehrbücher