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1.3. DIE THUN’SCHEN REFORMEN IN DER FORSCHUNG 67
Ausgehend von den Leibnizschen Voraussetzungen, daß Religion und Wissen-
schaft einander nicht widersprechen können, riskierte es Thun, die Studenten
zu lehren, wie sie für sich selbst zu denken hätten, und verhalf damit österrei-
chischer Gelehrsamkeit zu einer Wiedergeburt.267
Den Einfluss von Bolzano auf die Universitätsreform hat zuletzt Brigitte
Mazohl konstatiert, wenngleich sie zum Schluss kommt, dass Thun und
seine Mitstreiter zwar von Bolzanos Ideen beeinflusst waren, aber gerade
die kritische Schulung durch das Denken Bolzanos und dessen Auseinander-
setzung mit Kant eben nicht zu einer angestrebten Verbindung von Glauben
und Wissenschaft geführt haben, sondern genau zu dessen Gegenteil.268
Robert A. Kann sprach ähnlich wie Thienen-Adlerflycht von einer „kom-
plexen Staatsphilosophie“269 Thuns, bei der man Thuns Haltung in Univer-
sitätsfragen nicht mit Thuns Religionspolitik vermischen dürfe. Außerdem
hebt er Thun von anderen „opportunistischen Würdenträgern des neo-abso-
lutistischen Regimes“270 ab und dreht somit das Urteil vieler Zeitgenossen
Thuns um.
Ein Beispiel dafür, dass Thun auch weiterhin negativ bewertet worden ist,
bietet Sepp Domandl, der mit Thun und seinem ebenfalls schon mehrmals
genannten engen Vertrauten Helfert streng ins Gericht geht:
Die Entgleisungen Helferts und die Haltung Thuns Stifter gegenüber ist in-
sofern erklärlich, als beide Politiker waren, die nur im Freund-Feind-Schema
denken konnten; sie waren unduldsam und ungerecht gegen jeden, der zu cha-
rakterfest war, sich deutlich sichtbar ihrer Doktrin unterzuordnen.271
Domandl rekurriert zwar auf Lentzes Arbeiten, sein eigenes Urteil leitet
sich allerdings von einem speziellen Fall ab, nämlich der Ablehnung des
von Adalbert Stifter konzipierten Lesebuchs und dessen spätere Entlassung
als Schulrat in Oberösterreich. Domandl wirft Thun vor, sein Amt partei-
isch und doktrinär geführt zu haben. Besonders kritisiert er auch Thuns
267 JoHnston, Österreichische Kultur- und Geistesgeschichte, S. 283.
268 mazoHL-waLLnig, Der Einfluss Bolzanos und der Bolzanisten auf die österreichische Uni-
versitätsreform der Jahre 1848/49, S. 245–246.
269 Robert A. kann, Hochschule und Politik im österreichischen Verfassungsstaat (1867–1918),
in: Gerhard Botz/Hans Hautmann/Karl Stadler (Hgg.), Geschichte und Gesellschaft. Fest-
schrift für Karl R. Stadler zum 60. Geburtstag, Wien 1974, S. 507–526, hier S. 513.
270 kann, Hochschule und Politik im österreichischen Verfassungsstaat (1867–1918), S. 510.
271 Sepp domandL, Adalbert Stifters Lesebuch und die geistigen Strömungen der Zeit (= Schrif-
tenreihe des Adalbert Stifter-Institutes des Landes Oberösterreich 29), Linz 1976, S. 106.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen