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2.6. LEO THUN-HOHENSTEIN 99
gemeinsame Engagement für die politischen und sozialen Interessen des
böhmischen Feudaladels. Die Ehe mit Caroline blieb kinderlos.
Thuns Lemberger Tätigkeit währte indes nur kurz, denn nach Ausbruch
der Revolution im März 1848 wurde er auserkoren, als Gubernialpräsi-
dent in Prag die aufgewühlte Bevölkerung zu beruhigen. Zu diesem Zeit-
punkt (Mai 1848) war die Stimmung in Prag bereits stark aufgeheizt und
die zunehmenden Forderungen nach Gleichberechtigung der Böhmen bzw.
der slawischen Völker im Allgemeinen erschwerte das Zusammenleben der
Deutschen und Böhmen in wachsendem Ausmaß. Auch Thun konnte das
Misstrauen zwischen den Volksgruppen nicht mildern und seine auf Ent-
spannung und Ausgleich bedachte Amtsführung führte dazu, dass er letzt-
lich das Vertrauen beider Gruppen verlor und als Verräter der jeweiligen
nationalen Sache galt.135 Nicht zuletzt konnte er als ständisch-konservativ
denkender Politiker die national-demokratischen Revolutionäre nicht befrie-
digen.136 Im Zuge des Prager Pfingstaufstandes wurde Thun sogar von der
Studentenschaft kurzzeitig im Klementinum als Geisel gefangen genommen,
um die Erstürmung der Stadt durch Fürst Windisch-Grätz zu verhindern.
Thun wurde allerdings rasch wieder freigelassen, die Eskalation der Kämpfe
konnte er jedoch nicht verhindern. Auch die Anerkennung seiner provisori-
schen Böhmischen Regierung durch den Kaiser war im Juni 1848 geschei-
tert. Erfolglos wurde Thun am 22. Juli 1848 schließlich seiner Stellung als
Gubernialpräsident Böhmens enthoben.137
Das dramatische Erlebnis der Revolution in Prag hat Thun Zeit seines Le-
bens geprägt und seine Ansichten hinsichtlich der Nationalitätenfrage mit-
bestimmt. Thun war seit seiner Jugend ein Anhänger der slawischen Kultur,
hatte selbst Tschechisch gelernt (auch wenn er im Schreiben und Sprechen
Probleme hatte138) und war überzeugt davon, dass das Tschechische durch
intensive Förderung nach und nach als Kultursprache neben dem Deut-
schen bestehen konnte. Im Jahr 1848 sah er diese Gleichrangigkeit jedoch
135 Vgl. dazu besonders Thuns eigene Darstellung über sein Wirken im Jahr 1848: Leo tHun
und HoHenstein, Offenes Schreiben des Grafen Leo Thun an den Prager Bürger Herrn Jo-
hann Slawik, in Betreff der Ereignisse in der Pfingstwoche 1848 zu Prag. Mit urkundlichen
Belegen, Prag 1849.
136 Vgl. dazu Friedrich Prinz, Prag und Wien 1848. Probleme der nationalen und sozialen Re-
volution im Spiegel der Wiener Ministerratsprotokolle (= Veröffentlichungen des Collegium
Carolinum 21), München 1968, S. 100.
137 Vgl. zu Thuns Rolle vor, während und nach dem Aufstand bei Jiri staif, Palackýs Partei
der tschechischen Liberalen und die konservative Variante der böhmischen Politik, in: Ro-
bert Luft/Rudolf Jaworski (Hgg.), 1848/49 – Revolutionen in Ostmitteleuropa, München
1996, S. 57–74, S. 64–71.
138 Vgl. etwa Thun an Hanka, London 19.09.1834, Nachlass Vaclav Hanka, 20/H/35, Tschechi-
sches Literaturarchiv.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen