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5 DIE PERSONALPOLITIK LEO THUNS AN DER UNIVERSITÄT INNSBRUCK
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ziemlich zurückgezogen, sey wenig in Gesellschaft, und gehe in freien Tagen
öfter nach Hall – 1 1/2 Stunden von hier – wo er ein Verhältnis haben soll.657
Alles in allem musste Bissingen aber feststellen, dass er Pichler zwar nicht
die Erziehung seiner eigenen Söhne anvertrauen würde, dieser aber insge-
samt keinen schlechten Einfluss auf die Studierenden und Schüler habe.658
Thun hatte sich durch dieses eigentlich positive Zeugnis jedoch nicht be-
eindrucken lassen und hatte trotzdem die Entfernung von Pichler verlangt.
Daher schrieb Bissingen noch einmal an Thun und bat den Minister, seine
Entscheidung zu überdenken und gegebenenfalls zu revidieren.659 Um Thun
zu einem Umdenken zu bewegen, ergriff der Statthalter in diesem zweiten
Schreiben klar Partei für Pichler. Bissingen berichtet in dem Brief, dass er
nach dem Schreiben von Thun persönlich mit Pichler gesprochen habe, und
dass er nun noch mehr von dessen Unbedenklichkeit überzeugt sei. Auch im
Hinblick auf Pichlers Erinnerungen an das Jahr 1848660, die im Jahr 1850 im
Druck erschienen waren und die im Ministerium wohl erst den Entschluss
reifen ließen, Pichler zu entlassen, äußerte sich Bissingen in dem Brief. Ge-
rade dieses Buch, so Bissingen, zeige, da es – wie Pichler ihm selbst berichtet
hatte – aus Tagebuchaufzeichnungen zusammengestellt worden war, die in-
nerliche Abkehr Pichlers von der Revolution, indem er dort seinen „zum Ekel
sich steigernde[n] Unwillen über die traurigen Verirrungen des menschli-
chen Geistes und Herzens wie sie sich in den Oktobertagen offenbarten“ be-
kannte. Bissingen schätzte auch Pichlers Offenheit, wenn er schrieb: „sehr
viele seines Alters haben damals gedacht und gefühlt wie er, nicht alle aber
waren so ehrlich es auch nach der Hand offen zu bekennen.“661 Um danach
zu fragen, ob man ihn deshalb bestrafen solle, wo er doch „indirect einge-
steht, sich geirrt zu haben?“662 Neben diesen Argumenten, die direkt auf die
Person Pichlers zielten, fügte Bissingen am Ende schließlich noch an, dass
bei dem Mangel an Lehrern Pichler der Einzige sei, der das Fach Naturge-
schichte lehren könne. Dabei stützte er sich auf das Urteil des Schulrates
657 Ebenda.
658 In diesem Zusammenhang kann auch ein Brief von Paul an Gottfried Giovanelli,
27.01.1849 erwähnt werden: „Pichler lebt ganz seine Naturgeschichte, mitten unter den
Mineralien ist ihm die ganze Welt nur Wurst.“ Wiedergegeben in Giovanellische Familien-
geschichte, Microfilm 1231, Tiroler Landesarchiv, S. 8296.
659 175/Geh. Präs. Bissingen an Thun, Innsbruck 26.12.1850, Gubernium, Geheime Präsidiale,
Serie II, Sign. XXVII1, Fasz. III., Tiroler Landesarchiv.
660 PicHLer, Das Sturmjahr.
661 175/Geh. Präs. Bissingen an Thun, Innsbruck 26.12.1850, Gubernium, Geheime Präsidiale,
Serie II, Sign. XXVII1, Fasz. III., Tiroler Landesarchiv.
662 Ebenda.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen