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5.16. DIE BERUFUNG VON AUGUST GEYER NACH INNSBRUCK 325
beiden vor ihm Gereihten klar den Vorzug geben, wenn er auch anerkannte,
dass der erstgereihte Indermauer – Neubauer wird von Thun als ungeeig-
net angesehen – , hätte er sich länger wissenschaftlichen Studien gewidmet
und wäre er nicht in den praktischen Verwaltungsdienst gewechselt, dies zu
leisten im Stande gewesen wäre. Indermauer fehle dadurch auch „ein tie-
feres Verständniß der verschiedenen Theile des positiven Rechtes und die
Einsicht in ihren wissenschaftlichen Zusammenhang“784, der insbesondere
durch die neue Studienordnung von 1855 gefördert werden sollte, so Thun.
Nicht zuletzt konnte Indermauer, so Thun schließlich, nur das Strafrecht
vertreten, wohingegen Geyer auch die Lehre der Rechtsphilosophie abde-
cken könne. Damit war auch die Übertragung des Faches an Wildauer vom
Tisch. Hinsichtlich des Lebenswandels konnte Thun sowohl Indermauer als
auch Geyer ein vollkommen tadelloses Zeugnis ausstellen.
Der Kaiser ernannte Geyer daher am 14. April 1860 zum Professor des
Strafrechts und der Rechtsphilosophie in Innsbruck. Schulers Titulatur des
Lehrstuhls hatte noch gelautet: „Professor für Rechtsphilosophie und Straf-
recht“, somit zeigte sich schon in der Bezeichnung des Lehrstuhls, welchen
Schwerpunkt Thun gesetzt wissen wollte.785 Es sollte dies die letzte Beru-
fung in Innsbruck sein, die unter der Ägide von Thun vollzogen wurde.
Geyer führte sein wissenschaftliches Werk in Innsbruck fort. Wie Peter
Goller in seiner Arbeit zur Geschichte der österreichischen Rechtsphiloso-
phie786 zeigte, versuchte Geyer schon kurz nach seinem Amtsantritt eine
Erneuerung der Rechtsphilosophie in Österreich anzustoßen. Geyer stieß
sich vor allem am sich entwickelnden Monopol der historischen Methode in
den Rechtswissenschaften. Er kritisierte an der historischen Perspektive,
dass sie den Begriff und den Ursprung des Rechts selbst im Dunkeln lasse.
Geyer konnte allerdings die Zweifel an der spekulativen, naturrechtlich ori-
entierten Rechtsphilosophie verstehen. Er war sogar ganz auf der Linie von
Thun, wenn er das Naturrecht als revolutionär wirkende Kraft deutete, die
geltendes Recht in Frage stelle und Revolution und Krieg mit der „Erhebung
natürlicher und ethischer Forderungen“ rechtfertige.787 Er versuchte daher
eine realistische Rechtsphilosophie zu etablieren, die sich ganz an Herbarts
Philosophie orientierte, indem er das „Recht vom ethischen Standpunkt
aus“788 beurteilt wissen wollte. Damit erteilte er freilich auch einer religiösen
784 Ebenda.
785 Auch Goller weist auf diese Verschiebung in der „Präferenzgewichtung“ bei der Berufung
von Geyer hin. Vgl. goLLer, Naturrecht, Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie?, S. 358.
786 goLLer, Naturrecht, Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie?
787 Zit. ebenda. S. 83
788 Zit. ebenda, S. 83.
Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
Aufbruch in eine neue Zeit
- Titel
- Die Universität Innsbruck in der Ära der Thun-Hohenstein’schen Reformen 1848–1860
- Untertitel
- Aufbruch in eine neue Zeit
- Autor
- Christof Aichner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20847-1
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 512
- Schlagwörter
- University of Innsbruck, University Reforms, Thun-Hohenstein, Leo, Universität Innsbruck, Reform, Universitätspolitik, Thun-Hohenstein
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen